«Welcome, welcome», begrüsst Pastorin Wanika Stephens die Gläubigen an diesem Sonntagmorgen.
Um 12:45 Uhr beginnt der Gottesdienst in der John Coltrane Church. 50 Menschen sind gekommen. Alt und jung, «Whites, Blacks and Colored» – die Gemeinde sei bunt, meint die Pastorin mit einem Lächeln.
Einige sind zum ersten Mal hier, andere kommen seit Jahren. Es ist eine äusserst entspannte Atmosphäre, jeder lächelt jeden an. Was sie alle verbindet ist die Musik von John Coltrane, den sie als Heiligen verehren.
Die Energie San Franciscos
Vor nunmehr 50 Jahren entstand diese einzigartige kleine Kirchengemeinde, die es nur in San Francisco gibt. Für Pastorin Wanika Stephens gehört die Kirche und San Francisco einfach zusammen: «Es konnte nur hier, in diesem Universum, passieren.»
Sie verweist auf die Geschichte der Stadt, auf den Summer of Love, auf die Black Panther Partei. Aber auch auf Grateful Dead, Jimi Hendrix und viele Jazzmusiker, die sich im «Harlem des Westens» sichtlich wohl fühlten.
«Wir hatten eine sehr blühende Jazz Community. In San Francisco gibt es diesen ‹Vibe›, diese Energie.»
Von der Gentrifizierung verdrängt
Jahrzehntelang war die John Coltrane Church Teil des Fillmore Distrikts von San Francisco, einem ehemals afroamerikanischen Zentrum der «City by the Bay». Hier wurde einst der Jazz und der Blues gefeiert. Davon ist nicht viel übrig geblieben.
Die Gentrifizierung verändert alles in der Stadt. Die John Coltrane Church verlor vor ein paar Jahren das Dach über dem Kopf.
Die Kirche wurde daraufhin von der St. Cyprian’s Episcopal Church auf Turk Street im Stadtteil Western Addition eingeladen, doch fortan die Räumlichkeiten zu teilen. Hier ist nun das neue Zuhause dieser ungewöhnlichen Jazz-Gemeinde.
Mit Musik getauft
Im Gottesdienst fällt der Begriff «Baptized in Sound»: In Anlehnung an die Taufe mit geweihtem Wasser wird man hier mit dem Klangbild John Coltranes in die Glaubensfamilie aufgenommen.
«Das geht auf die Gründungszeit zurück», erklärt Wanika Stephens: «Es war eine ‹Klang Taufe›, die unsere Gründer Bischof King und Mutter Marina 1965 in einem Jazz-Workshop in San Francisco erlebten. Sie sahen damals einen Auftritt von John Coltrane und waren total gebannt von der Musik und dem, was sie in dieser Nacht erlebten.»
Aus diesem Erlebnis entstand der Yardbird Tempel, als Referenz an Charlie Parker. Nicht ihn, sondern John Coltrane sprach die «African Orthodox Church» Mitte der 1980er-Jahre heilig. Der Tempel wurde in «Saint John Will-I-Am Coltrane African Orthodox Church» umbenannt.
«Für mich ist die Musik von John Coltrane wie Beten», erklärt die Pastorin.
Die hippste Kirche der Welt
Nachdem «A Love Supreme» gespielt wurde, stehen viele der Anwesenden auf. Sie teilen mit den anderen, was die Musik für sie bedeutet, in ihnen ausgelöst hat.
Danach werden all jene eingeladen nach vorne zu kommen, die ein Instrument mitgebracht haben. Nicht nur zuzuhören, sondern Coltranes Musik zu «erleben», ist ein wichtiger Grundsatz der John Coltrane Church. Die Kirche wird zum gemeinsamen Jazzraum.
Die John Coltrane Church wurde einmal von der New York Times als hippste Kirche überhaupt bezeichnet. Nach dreieinhalb Stunden Jazz-Gottesdienst der etwas anderen Art kann man dem durchaus zustimmen.