Die Kreatur hat sich verheddert. Lange hatte sie sich am Boden gewunden, gerieben, ja, mit sich selbst gerungen und ausserirdische Töne gefiepst – diese quietschfidele, dreibeinige Gestalt aus Gummi und Metall. Jetzt steckt sie fest.
Michel Décosterd, ihr Erbauer, hebt die künstlichen Beine des vier Meter grossen Tripods an, befreit ihn aus der Zwicklage. Da schlägt die Kreatur um sich. Décosterd zögert einen Augenblick und ergreift die Flucht.
Macht der Algorithmen
Die Geister, die er rief? So surreal die Szene ist, man hat nicht den Eindruck, als hätten Cod.Act ihre Besen nicht im Griff. Obschon sie vieles dem vermeintlichen Zufall überlassen: der Macht der Algorithmen.
Im Computer nimmt alles seinen Anfang, aus vordefinierten Parametern entspinnt sich ein spontanes Hin und Her. Eine wilde Dynamik, die hie und da für grosse Überraschungen sorgt.
Wie Maschinen Klang werden
Die Brüder André und Michel Décosterd hatten keinen Plan, aber instinktiv Radikales im Sinn, als sie vor 20 Jahren in La Chaux-de-Fonds begannen, nach einer künstlerischen Sprache zu suchen.
Mit ihrem Label Cod.Act fanden sie das: die Synthese zwischen Klang, Installation und Bewegung. Cod.Act interessiert sich dafür, wie Sounds im wechselseitigen Dialog mit Maschinen mutieren. Wie die Maschinen sozusagen selbst Klang werden.
Musikalische Forschung
André Décosterd erfindet den Sound am Computer. Michel Décosterd baut die Maschinen dazu. Cod.Act forschen auf der Achse von Körperlichkeit und Entkörperlichung, verschränken Physik mit Kunst, jonglieren Wissenschaft mit Humor.
Sie lassen Opernsänger durch den Raum schweben, Orchester von künstlichen Lichtsignalen dirigieren oder alte Lautsprecher buchstäblich abrocken, wie in ihrer letzten Installation «Sound City» .
Innovatives Musikschaffen
Die Entwicklung eines Projekts nimmt mehrere Jahre in Anspruch. Die Brüder arbeiten in ihren jeweiligen Ateliers. Bis eine gemeinsame Idee reift. Dann tun sie sich wieder zusammen und tüfteln das Projekt zu Ende.
Darum überrascht nur im ersten Moment, dass die in der Öffentlichkeit wenig bekannten Cod.Act den mit 100’000 Franken dotierten Grand Prix Musik erhalten. Die Wahl ist stimmig. Per Definition würdigt der Preis herausragendes und innovatives Musikschaffen.
Komplex aber zugänglich
Es ist auch ein Entscheid, der dem Zeitgeist gerecht wird. Denn digitale und interdisziplinäre Kunstformen prägen immer mehr auch musikalisches Schaffen.
So kopflastig und komplex diese Kunst in der Anlage ist, so zugänglich und publikumsnah ist sie in der Ausführung. Ein Spektakel, nichts weniger.
Sendung: Radio SRF News, 07.05.2019, 11:33 Uhr.