Mit wenig Gestik bringt Haitink den Orchesterklang zum Strahlen und Fliessen. Eine Mischung aus Gelassenheit und Demut prägt seinen Dirigierstil an diesem letzten Konzert.
Im ersten Teil, bei Beethovens 4. Klavierkonzert, suchte Haitink noch das gemeinsame Atmen und Phrasieren mit dem kurzfristig eingesprungenen Pianisten Emanuel Ax.
Leise funkelnd und krachend
Doch dann bei Bruckner: grosse Selbstverständlichkeit. Orchester und Dirigent sind eins, die leisen Stellen gleichen Sternen – Lichtjahre entfernt und doch funkelnd.
Das Scherzo im 3. Satz klingt überraschend heiter-federnd. Und dann lässt Haitink es doch noch krachen: Die Wagner-Tuben dröhnen, ohne ein einziges Dezibel zu viel.
Einem kalten Saal Wärme verleihen
Zum Podium geht der 90-Jährige am Stock, ab und zu setzt er sich vorsichtig auf den hohen Dirigentenstuhl. Den Wiener Philharmonikern entlockt er einen so warmen Klang, wie man ihn selten hört in diesem Saal im KKL, dessen Akustik als kalt gilt.
Nach 65 Jahren Karriere hat Haitink eine unendlich reiche Erfahrung, gerade mit Bruckner. Das spürt man etwa an der Klarheit, mit der er die Struktur einer solchen Sinfonie offenlegt, ohne sie kühl zu durchleuchten wie ein Pierre Boulez oder mystisch zu überhöhen wie ein Claudio Abbado.
Stationen einer Weltkarriere
Die Karriere des Niederländers begann in Amsterdam, wo er sehr jung den Chefposten beim legendären Concertgebouw-Orchester übernahm. 30 Jahre blieb er diesem Orchester treu. Danach war er Chefdirigent in London und Dresden.
Mit dem Lucerne Festival hat Haitink eine lange, intensive Verbindung. So spielte er exklusiv für das Festival Beethoven- und Brahms-Zyklen ein und verlegte seinen Wohnsitz an den Vierwaldstättersee.
Entsprechend emotional war das Abschiedskonzert am Freitag: Menschen aus ganz Europa waren angereist, um den Maestro ein letztes Mal zu hören.
Kaum zu fassen, wie dieser sein Dirigat beendete: ohne den Ausklang zu zelebrieren, legte er nach wenigen Sekunden den Stock nieder und nickte dem Orchester fast etwas verlegen zu. Dann: Stehende Ovationen, aber keine Blumen und Reden. Haitink hatte dies ausdrücklich so gewünscht.
«Ein sehr emotionaler Augenblick»
Hinterher, an einem Empfang im kleinen Kreis, sah man endlich, wie zart, bleich und unendlich müde der 90-Jährige war, nachdem er auswendig ein 70-minütiges Werk dirigiert hatte.
Ein paar Worte liess er sich abringen: «Ich sollte ein paar Worte sagen. Aber möchte ich nicht, denn ich bin zu müde. Dies ist ein sehr emotionaler Augenblick für mich.»
Die Kameras und Mikrofone nimmt er nicht wahr. Dieser demütige und doch stilweisende und grossartige Dirigent ist in diesem Moment ganz bei sich, bei den Klängen, die nachhallen. Und bei der Trauer über den Abschied, die ihn dankbar aber sichtlich erschöpft zurücklässt. Dieses letzte Konzert, das Bernard Haitink in Luzern dirigiert hat, war ein Geschenk.