SRF: Sie und Ihre Mitmusiker engagieren sich im Projekt «Orpheus XXI», das politisch verfolgten Künstlern Auftrittsmöglichkeiten und Arbeit als Pädagogen in Europa verschafft. Warum?
Jordi Savall: Personen, die das Privileg haben, in ihrem Leben schöne Kunst zu machen, haben auch eine Verantwortung, in der Gesellschaft zu helfen.
Was mit den Flüchtlingen in Europa passiert, ist skandalös. Das geht gegen alles, was Europa in solchen Hilfefällen eigentlich leisten müsste. Die Leute kommen aus Notfallsituationen, aus Kriegen. Und wir reagieren unglaublich negativ darauf.
Die Politiker fürchten die Reaktionen ihrer Wähler, wenn sie zu grosszügig sind. Aber Hilfe zu leisten, das ist ein Teil jeder Zivilisation.
Wann haben Sie sich entschieden, bei «Orpheus XXI» mitzumachen?
Im Frühling war ich in Calais und habe dort mit den Flüchtlingen gesprochen. Ich bin dorthin mit meinen eigenen Musikern aus Syrien und Marokko hingefahren und wir haben gemeinsam mit den Musikern im Flüchtlingscamp musiziert.
Nachdem ich anschliessend in einem grossen Camp bei Thessaloniki war, war ich mir sicher: Wir müssen etwas unternehmen. Mein Projekt ist der Versuch, den Flüchtlingen zu helfen, die ja bereits gute Musiker sind.
Welche Musik spielen Sie?
Wir spielen Musik aus dem 14. Jahrhundert aus Spanien und Italien. Das passt gut zu den orientalischen Stücken, die die Musikerinnen und Musiker aus ihren Ländern mitbringen. Was nicht geht, ist polyphone Musik – Bach und so weiter. Das ist eine ganz andere Welt.
Wichtig ist, dass wir lernen, dass unsere Kultur nicht die einzige ist.
In einem Jahr gibt es vielleicht eine oder zwei Gruppen, in denen die Besten aus diesen Gruppen mit meinen Musikern zusammenarbeiten. Wir planen gemeinsame Konzerte, um zu zeigen, was man mit Arbeit, Disziplin und Beharrlichkeit erreichen kann.
Neben solchen gemeinsamen Auftritten sollen die Musiker des Projekts auch als Pädagogen wirken.
Die Idee ist, den Leuten eine konkrete Arbeit als Lehrer zu geben. Sie bekommen da Geld. Das ist aus meiner Perspektive als Musiker das Beste, was ich machen kann.
Aber wir spielen nicht nur gemeinsam. Die Gruppen des Projekts sollen autonom sein. Ich und meine Musiker unterstützen sie zunächst bei Fragen der Interpretation, bei der Probenarbeit, oder dabei, wie man ein Repertoire zusammenstellt. Das Ziel ist aber, dass sie sich mit ihrer Aktivität an ihrem Lebensort integrieren können.
Das Projekt läuft noch bis Ende 2018. Wann ist es gelungen?
Das Projekt ist bereits gelungen. Wir haben viele Anfragen von Konzerthäusern. Wir haben ja kein anderes Ziel, als den Menschen einen Platz in Europa zu verschaffen, ohne dass sie ihre eigene Kultur verlieren.
Wichtig ist, dass wir lernen, dass unsere Kultur nicht die einzige ist. Das andere kann uns interessieren und eine Bereicherung für unser Leben sein.
Das Gespräch führte Benjamin Herzog.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 17.07.2017, 09:00 Uhr.