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Zocken? Oder virtuell abrocken?
Aus Kontext vom 13.12.2020. Bild: GETTY IMAGES / BILDMONTAGE / YOUTUBE TRAVIS SCOTT
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In-Game-Konzerte Sind Konzerte in Videogames die Zukunft?

Travis Scotts Auftritt in «Fortnite» hat Masstäbe gesetzt: Im Corona-Jahr boomen virtuelle Konzerte in Computergames. Solche In-Game-Konzerte in digitalen Fantasiewelten faszinieren – und schaffen ein neues Gemeinschaftsgefühl.

Welches Potenzial In-Game-Konzerte haben, wurde der Musik- und Gameszene spätestens im April klar. Im Battlespiel «Fortnite» steigt der US-Rapper Travis Scott als riesiger Rap-Gott aus seinem virtuellen Raumschiff.

Er tanzt sich vom Universum bis in die Unterwasserwelt und zurück. Mit seinem reichhaltigen dichten Storytelling und einer regelrechten Sound- und Bildwucht treibt er den Einfallsreichtum aktueller Videogames auf die Spitze.

Was sind In-Game-Konzerte?

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Wenn reale Künstler in einer virtuellen Game-Welt ein Konzert geben, spricht man von einem In-Game-Konzert. Beliebte Online-Games wie Fortnite, Minecraft oder Roblox zeigen, wie in Videogames neue digitale Räume für Livemusik entstehen können.

Bei einem In-Game-Konzet versammeln sich Millionen von Spielerinnen und Spielern an einem verabredeten Ort in der virtuellen Welt. Teilweise finden die Konzerte live statt, teilweise sind sie vorproduziert, so dass sie mehrfach und in verschiedenen Zeitzonen stattfinden können.

Die Gamerinnen und Gamer sind live dabei und erleben mehr als nur ein fantasievolles Musikvideo: Sie sind Teil des Ganzen, hüpfen als kleine Avatare um den Rapper herum, tanzen und bejubeln die Weltpremiere seines neuen Songs. Es kommt Partystimmung auf.

Fortnite mit Partyinsel und Konzerten

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«Fortnite Battle Royale» ist ein Battlespiel, das mittlerweile über 350 Millionen Gamer spielen. Das Prinzip ist simpel: 100 Spieler landen zusammen auf einer Insel und es spielen alle gegen alle. Um zu überleben, müssen Rohstoffe und Ausrüstung gesammelt werden. Wer sich bis zum Schluss durchkämpft, gewinnt.

Für den Musikgenuss hat Fortnite nun die zusätzliche Insel «Party Royal» eingerichtet, auf die sich die Spielerinnen und Spieler abseilen können. Auf Party Royal geht es nicht ums Schiessen, sondern um eine gemeinsame Auszeit.

Das In-Game-Konzert von Travis Scott war vorproduziert. Es kam eine Technologie zum Zuge, die man aus Animationsfilmen kennt: Motion Capture – deswegen wirken die Bewegungen seines Avatars auch so echt. Um das Konzert zu verfolgen, mussten die Gamerinnen und Gamer je nach Zeitzone einen von fünf Slots buchen, der Rest des Spiels stand während dieser Zeit still.

In Fortnite sind bisher auch US-Superstars wie Diplo, Marshmello und Deadmau5 aufgetreten – allerdings mit weniger aufwendigen Produktionen.

Der Avatar lernt vom Musikstar – gegen Geld

Hinter solchen In-Game-Konzerten steckt ein lukratives Geschäftsmodell: Wenn Superstars in einem Game auftreten, erreicht die Spielfirma deren Fangemeinde, die sich das Spiel herunterlädt.

Aber auch für die Musikerinnen und Musiker stimmt der Deal, denn sie sprechen die globale Zielgruppe der Gamer an. Und die ist zahlungskräftig – 20 Millionen Dollar soll Travis Scott mit seinem zehnminütigen Konzert verdient haben.

Gewinne machen die Stars bei In-Game-Konzerten aber nicht durch Ticketverkäufe, sondern durch so genannten Virtual Merch: Gegen echtes Geld stattet man seinen Avatar mit bestimmten Objekten oder Fähigkeiten aus, zum Beispiel mit einer Travis-Scott-Waffenhülle aus Gänseleder oder einem typischen Travis-Scott-Dancemove.

jemand hält ein Tablet und schaut darauf ein Video
Legende: Travis Scotts Musik dröhnt aus einem lila Planeten mit brennenden Achterbahngleisen, der einen gigantischen Lautsprecher darstellen sollte. Getty Images / Bildmontage / Epic Games

Es zählt das immersive Erlebnis

Genau genommen gibt es solche In-Game-Konzerte schon länger: 2001 trat die Band In Extremo im deutschen Computerspiel «Gothik» auf. Schon damals wurde per Motion Capturing der Mittelalter-Rockband virtuelles Leben eingehaucht.

Heute zählt das immersive Erlebnis – im Corona-Jahr trifft dies einen Nerv: «Minecraft» hat in seiner verpixelten Bausteine-Welt mehrere Musikfestivals veranstaltet. Im Computerspiel «Grand Theft Auto» wurde gerade ein virtueller Club eröffnet. Die Computerspiele-Plattform «Roblox» lud jüngst den Sänger Lil Nas X auf seine virtuelle Bühne.

ein Laptop, worauf ein Video eines Mannes mit Sensoren und Mikrofon ist
Legende: Hinter den Kulissen eines In-Game-Konzerts: US-Rapper Lil Nas X singt das Konzert ein, das in der virtuellen Welt stattfindet. Getty Images / Bildmontage / YouTube Enternal

Berühmte Games wie «Roblox» oder «Fortnite» sind allerdings kein Ort für musikalische Experimente: Es treten nur internationale Mainstream-Acts auf. Aber die Form des In-Game-Konzerts könnte auch für andere Künstlerinnen und Künstler zugänglich werden. Daran arbeitet die Firma Granola-Studios aus Berlin. Inspiriert von der Gamingwelt entwickelt sie interaktive Landschaften für virtuelle Livekonzerte – auch ohne Anbindung an ein spezifisches Game.

Unvergleichliche Reichweite

28 Millionen Gamerinnen und Gamer haben Travis Scott’s Fortnite-Konzert erlebt. Das entspricht 140 Stadionkonzerten im echten Leben. Kein Wunder beschloss Epic Games, die Firma hinter «Fortnite», In-Game-Konzerte auszubauen.

Aber auch Sony Music stellt derzeit Gamedesigner an, wie Billboard berichtet. Game- und Musikwelt werden in Zukunft also weiter zusammenwachsen.

Was alle In-Game-Konzerte gemeinsam haben: Sie kreieren eine neue Form von Gemeinschaft und übernehmen Funktionen, die gerade jetzt, im zweiten Kultur-Lockdown, fehlen.

Bei einem Konzert-Stream auf dem Sofa kann man sich vielleicht rasch einsam fühlen. Anders ist es, wenn man als Avatar Teil einer tanzenden Masse ist und sich untereinander im Live-Chat über das Konzert austauscht. Das Gruppengefühl ist wichtig bei Konzerten – daran kommen In-Game-Konzerte erstaunlich nah heran.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 14.12.2020, 09:03 Uhr

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