Der österreichische Komponist und Dirigent schuf mehr als 200 Orchester-, Kammermusik- und Solowerke. Bekannt wurde er unter anderem als jener Komponist, der Alban Bergs Oper «Lulu» vollendete. Berg selbst starb vor der Fertigstellung.
Friedrich Cerha beschritt musikalisch neue Wege. Dafür wurde der Vertreter der Wiener Nachkriegsavantgarde vielfach ausgezeichnet. Doch vor allem in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg musste er auch viel Kritik einstecken. Nicht allen gefiel, dass er sich für die Musik der Wiener Schule einsetzte, zu denen Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern zählen.
Die Vorwürfe, gegen die Friedrich Cerha ankämpfen musste, liessen tief blicken: «Ich vermute ja», sagte er einmal, «dass für viele Leute, die in den 60er Jahren Konzertprogramme gemacht haben, die Wiener Schule als ‹entartete Musik› gegolten hat. Sie haben das nur nicht mehr gesagt.»
Neue Musik im Wien von gestern
In dieser angestaubten Zeit kam er als junger Wilder daher und gründete mit einem anderen jungen Wilden, dem Komponistenkollegen Kurt Schwertsik, das Ensemble «die reihe». Dieses widmete sich voll und ganz der zeitgenössischen Musik.
Je besser die Konzerte des Ensembles besucht wurden, umso stärker wurde Friedrich Cerha als Person diskreditiert. Eine unselige Verquickung: nationalsozialistische Altlasten in den Köpfen, die sich auch ästhetisch nach den alten Zeiten zurücksehnen.
Deserteur, Doyen, Anti-Dogmatiker
Die Kritik an Cerhas avantgardistischem Ansatz schien Spuren zu hinterlassen. In einem Interview sagte er einmal, er möge das Licht nicht mehr, sitze lieber im schattigen Zimmer. Doch Cerha musste seinen Weg gehen.
Er musste das Grauen des Krieges verarbeiten, den er als Deserteur knapp überlebt hatte. Das tat er, indem er sich für die Neue Musik einsetzte, die bereits vor dem Nationalsozialismus entstanden war – und für die Musik, die erst nach dem Dritten Reich entstand und noch viel abstrakter war.
Musikalisch stand Cerha zwar der Wiener Schule nahe. Er suchte aber auch erfolgreich andere Wege, zusammen mit seinem Ensemble. Im Ausland, in den Zentren der Neuen Musik, wurde er dafür gefeiert und galt als Geheimtipp. In der Heimat dauerte es mit der Anerkennung erheblich länger.
Klangrausch gegen Betonköpfe
Je grösser die Widerstände waren, umso lustvoller haute Cerha dem Publikum die Musik um die Ohren. In seinen eigenen Kompositionen ging er weit über sämtliche Vor- und Nachkriegsavantgarde hinaus. War der Komponist zu Beginn seiner Karriere dem Neoklassizismus, der Zwölftonkomposition und dem Serialismus zugewandt, befreite er sich Anfang der 1960er von solchen Traditionen und schuf eine eigene Klangwelt.
Sein Opernzyklus «Spiegel» ist ein gewalttätiger Klangrausch, ein homogener Körper, der sich dreht. Einen derartigen Grad von Destruktion nach vielen Jahren fleissiger serieller Konstruktion hatte bisher noch keiner zu verwirklichen gewagt.
Friedrich Cerha erschuf der Neuen Musik einen Platz in den Konzerten, in den Köpfen. Damit bereitete er den Boden für junge Ensembles wie das Klangforum Wien.
Den renommierten Ernst-von-Siemens-Musikpreis hat er später auch erhalten. Nun ist der grosse Unbequeme im Alter von 96 Jahren in Wien verstorben, wie seine Familie mitteilte.