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Jazzmusiker Lee Konitz ist tot Ein Sänger ohne Worte

Der Altsaxofonist Lee Konitz ist im Alter von 92 Jahren in New York an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Konitz war einer der stilbildenden Improvisatoren des modernen Jazz. Er schrieb immer wieder Jazzgeschichte als Leader und als Sideman von Miles Davis oder Lennie Tristano.

Als Lee Konitz in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre in die Jazz-Szene kam, war Charlie Parker die prägende Stimme auf dem Altsaxofon. Um diesem musikalischen Vulkan etwas entgegensetzen zu können, musste man einen eigenen Plan entwickeln.

Mit noch mehr Energie oder Spielfreude war das nicht zu machen. Das wollte Lee Konitz auch nicht, er sah sich nicht als Antipode von Parker. Man kannte und schätzte sich – gerade, weil man musikalische seinen eigenen Weg ging.

«Birth Of The Cool»

Lee Konitz' erster grosser Auftritt auf der Bühne der Jazzgeschichte war 1949 bei den Sessions zu Miles Davis epochalem Werk «Birth Of The Cool». In dieser doch ziemlich anderen Ästhetik kamen Konitz' Sound und sein Konzept der motivischen Improvisation bestens zur Geltung.

Die Kehrseite der Medaille war, dass viele der Beteiligten durch den Plattentitel ein Etikett verpasst bekamen, das nur schwer wieder los wurden – auch wenn es ihnen gar nicht entsprach.

«Cool», oder gar unterkühlt, war die Spielweise von Lee Konitz nicht. Seine Ideen kamen vielmehr von den Übungen, die der Pianist Lennie Tristano seinen Mitmusikern auferlegt hatte.

Zurück zu Bach

In seinem Umkreis bewegte sich Konitz von Beginn weg, und dort wurden auch gerne mal Inventionen von Johann Sebastian Bach als Material beigezogen. Wenn man dann auf dieser Grundlage wieder über Standards wie «All The Things You Are» improvisierte, dann klang das in der Tat nicht mehr nach Parker und Bebop, sondern neu und anders.

Gerade an diesem Standard «All The Things You Are» arbeitete sich Lee Konitz sein ganzes langes Musikerleben während sieben Jarhzehnten ab. Er vermochte dessen Harmoniefolgen immer wieder neue Aspekte abzugewinnen, und nannte seine unzähligen Versionen irgendwann mal augenzwinkernd nur noch «Thingin’».

Damit war nicht einfach eine Verkürzung des originalen Titels gemeint, sondern auch die Anspielung auf «Singing». Und ein Sänger ohne Worte war Konitz hier und in seinem gesamten Schaffen zweifellos. Seine fliessenden Linien hatten immer eine sangliche Qualität.

Lee Konitz
Legende: Lee Konitz 2007 am Cape Town International Jazz Festival in Südafrika. Keystone / EPA/NIC BOTHMA

Elder Statesman

Zahllose Bewunderer eifern diesem Elder Stateman des Jazz bis heute auf diese Weise nach. Lee Konitz war für sie immer zugänglich und offen. Mit vielen spielte er auf seinen langen Tourneen auch immer wieder zusammen, und tauschte sich mit ihnen aus. So blieb auch Konitz selbst immer frisch und am Puls der Zeit bis ins hohe Alter.

Seine letzten Veröffentlichungen stammen aus den Zehnerjahren. Er spielt da mit Musikern, die seine Enkel, oder gar Urenkel sein könnten. Nicht nur sie werden ihn schmerzlich vermissen.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 16.04.20, 06.01 Uhr

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