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Opera Camion: Mit dem Opern-Lastwagen in die Peripherie
Aus Kultur-Aktualität vom 19.07.2018. Bild: Yasuko Kageyama
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Klassik gegen Kriminalität Lässt sich die Mafia mit Opern vertreiben?

In einem aufklappbaren Lastwagen spielen Musiker Opern in sizilianischen Problemvierteln. Die Politik erhofft sich viel vom Opernhaus auf vier Rädern.

Die Idee ist gut: Man nehme einen grossen Lastwagen, baut ihn um, sodass eine der Längsseiten aufgeklappt werden kann. Dort singen und spielen Musiker Kurzversionen der Opern von Mozart, Rossini und Verdi. Entstanden ist diese Idee vor zwei Jahren in Rom.

Ein Orchester vor einem Lastwagen mit einer Bühne
Legende: Opernhaus auf vier Rädern: In Rom wurde dieses Jahr die Oper «Rigoletto» von Verdi gezeigt. Yasuko Kageyama

Mitarbeiter der Staatsoper wollten populäre Opern in Quartiere am Stadtrand bringen. Das Projekt heisst «OperaCamion», Opernlastwagen. Die Aufführungen sind gratis. Diese Initiative hatte in Rom derart grossen Erfolg, dass nun auch das Opernhaus Teatro Massimo in Palermo einen «OperaCamion» auf die Beine stellte.

Mit Oper gegen Mafia und soziale Benachteiligung

Doch im Unterschied zu Rom finden die Aufführungen in Palermo in sozialen Problemvierteln wie ZEN und Brancaccio statt. Orte, an denen die Cosa Nostra nach wie vor den Ton angibt, in denen Palermitaner mit Niedrigeinkommen leben, in denen die Jugendarbeitslosigkeit Werte von rund 55 Prozent erreicht.

Palermos linker Bürgermeister Leoluca Orlando ist davon überzeugt, dass Kulturinitiativen wie «OperaCamion» dafür sorgen, dass sich die Bewohner dieser Problemviertel weniger ausgegrenzt fühlen und ihnen Alternativen zu Armut, Kriminalität und Mafiastrukturen geboten werden.

Kulturpolitische Augenwischerei?

Kritiker von Orlando bezeichnen «OperaCamion» als kulturpolitische Augenwischerei. Denn anstatt dauerhafte Kulturprojekte in Problemvierteln zu schaffen, werden Einmalveranstaltungen angeboten, die zwar einen netten Abend garantieren, aber auch nicht mehr.

Neapel als Vorbild

Neapel hingegen zeigt, wie man ziemlich erfolgreich nachhaltige Kulturpolitik betreiben kann. Auch Neapel ist eine süditalienische Grossstadt mit organisierter Kriminalität, sozialen Problemen und gefährlichen Stadtvierteln wie Scampia, eine der übelsten Mafiahochburgen. Zu trauriger Berühmtheit gelangte Scampia durch Roberto Savianos Reportagen und den Film «Gomorrha».

Eine Frau und ein Kind vor einem alten Wohnblock
Legende: Das Viertel Scampia in Neapel: Viel Armut, viel Kriminalität und dennoch viel Kultur. Reuters/Ciro de Luca

Der Fall Scampia

In Scampia entstanden, ohne öffentliche Hilfen und von Bewohnern organisiert, Verlage, Theatergruppen und eine Filmschule. In diesen Projekten arbeiten mehrere hundert junge Menschen, die beweisen wollen, dass ihr Viertel nicht nur Drogen und Kriminalität bedeutet.

Ihre Projekte finden auch ausserhalb Neapels Beachtung. Inzwischen kommen auswärtige Regisseure nach Scampia, um dort Theaterstücke auf die Bühne zu bringen.

Musik, Kunst und Kulturpriester

Auch in anderen Quartieren Neapels entstanden in den vergangenen Jahren Kulturprojekte von Dauer. Sie wurden oft von sozial und kulturell engagierten katholischen Geistlichen in die Wege geleitet.

Dazu gehört ein Orchester im sozial benachteiligten Innenstadtviertel Sanità. Rund Tausend Minderjährige aus sozial benachteiligten Familien, in denen beide Elternteile arbeitslos sind, erlernen hier gratis ein Instrument. Neapolitanische Projekte dieser Art erhalten inzwischen auch Finanzhilfen durch den Staat.

Warum nicht auch in Palermo?

Erst langsam entsteht in Italien das Bewusstsein, dass Privatinitiativen das Fehlen öffentlich finanzierter und organisierter Kulturinitiativen wettmachen müssen. Seit einiger Zeit finanzieren deshalb auch immer mehr Banken und private Stiftungen kulturpolitische Projekte in sozialpolitischen Brennpunkten. Das gilt vor allem für Nord- und Süditalien. Sizilien ist in diesem Punkt immer noch kulturpolitisches Entwicklungsland.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 19.07.2018, 17.10 Uhr

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