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Helfen mit Musik «Künstler sollten für eine bessere Welt kämpfen»

Gambist Jordi Savall will mehr als schöne Musik spielen, er will die Welt verbessern. Um das Elend der Menschen ein bisschen zu lindern, hat er in seiner Heimat Spanien ein Flüchtlings-projekt gegründet.

SRF: Jordi Savall, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das aktuelle Weltgeschehen betrachten?

Zur Person

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Jordi Savall (*1941 in Igualada, Katalonien) ist Gambist, Forscher und seit vielen Jahren einer der erfolgreichsten Musiker der Szene der Alten Musik.

Jordi Savall: Ich finde es skandalös, was heute passiert. Wir sind eine europäische Union mit über 500 Millionen Personen, mit einem grossen Reichtum – und wir halten es nicht für möglich, einige Tausend Immigranten aufzunehmen. Das finde ich sehr tragisch.

Nicht alle Musiker äussern sich zu politischen Themen. Woher stammt Ihre Motivation?

Ich bin mir bewusst, dass wir als Künstler die Verantwortung haben, nicht nur Musik zu machen, nicht nur schöne Dinge zu tun, sondern auch unsere Meinung zu sagen und für eine bessere Welt zu kämpfen.

Wie können Sie als Musiker für eine bessere Welt kämpfen?

Einerseits mit meiner Musik – etwa mit dem Syrien-Projekt meines Ensembles Hesperion XXI: Wir haben syrische Musikerinnen und Musiker eingeladen, mit uns zu musizieren. So haben wir diese reiche Kultur, die Teilen der alten europäischen Musik so ähnlich ist, durch die Welt tragen können, haben zeigen können, wie nah sich Orient und Okzident sind.

Es ist grauenhaft, wie die Menschen dort leben müssen.

Und ausserhalb der Konzertwelt?

Ich habe die Flüchtlingslager in Calais und Idomeni besucht. Es ist grauenhaft, wie die Menschen dort leben müssen. Besonders die vielen kleinen Kinder, die dort allein sind – ihr Leben ist ohne Hoffnung!

Wir haben für diese Menschen gespielt – und man kann sich nicht vorstellen, was da passiert ist: Sie haben ausgelassen getanzt, gesungen – es war für sie ein unglaubliches Geschenk, in dieser katastrophalen Situation ein bisschen Musik zu haben. Mit der Musik können wir ihnen ein bisschen Menschlichkeit zurückgeben.

Sie engagieren sich auch für eigene Flüchtlingsprojekte…

Gerade habe ich ein Flüchtlingsprojekt für Kinder gegründet, es wird in Barcelona, in Frankreich und in Norwegen durchgeführt. Wir suchen musikalische Flüchtlingskinder, geben ihnen in kleinen Gruppen einmal wöchentlich Unterricht – von Lehrern, die ebenfalls Migrationshintergrund haben.

Wir erarbeiten Lieder und Tänze aus ihren eigenen Kulturen, aber auch aus unserer Kultur – so dass es zu einer positiven Begegnung kommt. So können wir zeigen, dass mit Musik Dialog zwischen den Kulturen möglich ist, dass Respekt möglich ist, und friedliches Zusammensein. Ein Ziel ist, dass wir in zwei Jahren kleine Ensembles zusammenstellen können, die Konzerte geben – so können die Immigranten auch ein bisschen Geld verdienen.

Sie setzen sich immer wieder mit Flüchtlingsbewegungen auseinander und nehmen die Musik aus diesen bewegten Zeiten auf CD auf. Dazu gibt es oft ein dickes Booklet, in dem sie ihr Wissen über alte Kulturen und geschichtliche Zusammenhänge weitergeben. Weshalb?

Nun, es ist schön, Musik zu hören, aber viel interessanter ist es doch, zu erfahren, was zeitgleich in der Welt passiert ist. Mein neues Projekt thematisiert die alten Sklavenrouten. 1444 fand die erste grosse Expedition nach Afrika statt, um Sklaven als Arbeitskräfte nach Europa zu holen.

Wir haben ein sehr kurzes Gedächtnis. Das müssen wir unbedingt ändern.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein sind über 30 Millionen Menschen aus Afrika in die neue Welt versklavt worden, um in Minen zu arbeiten etwa. Kein europäisches Land hat sich jemals dafür entschuldigt. Nie gab es eine Kompensation dafür. Und dennoch können wir es heute nicht akzeptieren, dass von diesem Kontinent ein paar wenige Tausend Menschen zu uns kommen.

Können Sie das nachvollziehen?

Es zeigt, dass wir ein sehr kurzes Gedächtnis haben. Das müssen wir unbedingt ändern. Wenn eine Kultur keine Erinnerung an ihre alten Zeiten hat, dann kann sie auch keine Zukunft bauen. Eine zivilisierte Gesellschaft muss wissen, was in ihrer Vergangenheit passiert ist. Sonst wiederholen wir die gleichen Fehler, die gleiche Ungerechtigkeiten.

Das Gespräch führte Jenny Berg.

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