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Die Kulturwissenschaftlerin Sonja Eismann über die Groupie-Kultur
Aus Kultur-Aktualität vom 06.06.2023. Bild: Getty Images/Redferns
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Lehren aus Rammstein-Skandal «Machtmissbrauch ist ein Grundpfeiler des Rock- und Popsystems»

Rammstein-Sänger Till Lindemann soll gezielt junge Mädchen aus dem Publikum für Sex rekrutiert haben. Das wirft einen Schatten auf die einst so glamouröse Groupie-Kultur im Rock. Die Kulturwissenschaftlerin Sonja Eismann beschäftigt sich seit Jahren mit Machtmissbrauch im Musikgeschäft.

Sonja Eismann

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Sonja Eismann (*1973) ist Mitherausgeberin und -gründerin des feministischen Missy Magazine. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Zuletzt erschienen von ihr «Freie Stücke: Geschichten über Selbstbestimmung» (2019) und «Movements and Moments. Indigene Feminismen» (2022).

SRF: Ist das, was gerade als «System Rammstein» beschrieben wird, seit jeher Bestandteil des Rock- und Popmusik-Business? Dass also männliche Stars ihre Machtposition gegenüber Groupies ausnutzen?

Sonja Eismann: Das ist quasi einer der Grundpfeiler des Pop- und Rocksystems, wie wir es heute kennen. Es ist auch einer der Grundmythen, dass männliche Musiker Musik machen, um Zugang zu weiblichen Fans zu haben. Problematisch wird das, wenn Leute manipuliert werden, die noch sehr jung sind oder wenn sogar Drogen wie K.-o.-Tropfen im Spiel sind.

Der Begriff «Groupie» ist bereits in den 1940er-Jahren im Umfeld von Frank Sinatra zum ersten Mal aufgetaucht. Die sexuelle Revolution der späteren 1960er- und 1970er-Jahre befeuerte das Phänomen, der männliche Rockstar wurde zur Sehnsuchtsfigur und zum Sexsymbol. Was bedeutete es damals, ein Groupie zu sein?

Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Es gab Groupies, die fast so etwas wie Tour-Ehefrauen oder -Girlfriends waren. Es gab Frauen, die zwar als Groupies bezeichnet wurden, weil sie mit männlichen Bands rumhingen, die aber selbst auch Musikerinnen waren. Und dann gab es auch Frauen, die es genossen haben, Moralvorstellungen zu durchbrechen und mit möglichst vielen berühmten Männern zu schlafen.

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Groupie
aus 100 Sekunden Wissen vom 06.06.2023. Bild: KEYSTONE-FRANCE/Gamma-Rapho via Getty Images
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Solange Konsens herrscht, ist es also kein Problem. Und wann wurde es zum Problem?

Auch damals gab es fernab der glamourösen Vorstellungen bereits sehr problematische Momente. Musiker wie Iggy Pop und David Bowie haben sich damit gebrüstet – oder vielleicht fanden sie es damals auch einfach normal –, mit 13-jährigen Mädchen, sogenannten Babygroupies, Sex gehabt zu haben. Aber das ist wirklich in keiner Welt in Ordnung.

Wir brauchen ein neues Bewusstsein für die Problematik des Machtgefälles.

Wie hat sich das verändert? Was ist ein Groupie heute?

Ich glaube, heute würden sich viele eher als Fans bezeichnen. Der Begriff «Groupie» ist ein bisschen in die Jahre gekommen, er hat auch einiges an Glamour verloren. Und durch die Vorfälle rund um die Band Rammstein wird jetzt viel stärker über den Groupie-Kult diskutiert. Es wird jetzt geschaut, ob das wirklich alles konsensual passiert oder ob es da nicht auch einen erheblichen Machtmissbrauch gibt.

Es gab in der Vergangenheit immer wieder Missbrauchsvorwürfe oder auch Klagen gegen verschiedene Bands und Stars – Beispiele sind der Arcade-Fire-Sänger Win Butler, R’n’B-Sänger R. Kelly oder der Schock-Rocker Marilyn Manson. Oft sind die Debatten nach einem kurzen und heftigen Aufschrei wieder verpufft. Was muss passieren, damit #MeToo endlich auch im Musikbusiness ankommt?

Wir brauchen ein neues Bewusstsein für die Problematik des Machtgefälles und des Ausnutzens von Begeisterung und Jugendlichkeit. Aber wir müssen auch entsprechende Strukturen aufbauen, wie Awareness-Teams in Clubs und an Festivals. Leute, die darauf achten, dass niemandem etwas in den Drink getan wird, dass die Partystimmung oder vielleicht auch Trunkenheit nicht ausgenutzt wird.

Transgression im Rock und Pop ist ja schön und gut und wichtig, aber es kann nicht sein, dass diese Grenzüberschreitung immer nur mächtigen Männern nützt – und junge Mädchen darunter leiden müssen.

Das Gespräch führte Elisabeth Baureithel.

Radio SRF2 Kultur, Kultur-Aktualität, 6.6.2023, 7:06 Uhr;

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