Das Lucerne Festival steht dieses Jahr ganz im Zeichen der Kindheit. So lautet zumindest das Motto, und die meisten Veranstaltungen haben thematisch eine mehr oder weniger enge Verbindung zu den ersten Lebensjahren des Menschen.
So werden etwa in den kommenden vier Wochen «Wunderkinder» und/oder deren Werke zu hören sein, diverse Stücke mit märchenhafter Thematik, und viele Veranstaltungen sind auf den Publikums-Nachwuchs zugeschnitten.
Glückliche und weniger glückliche Kindheit
Zunächst hält Hubert Achermann, der Präsident der Stiftung Lucerne Festival, am Eröffnungsabend richtigerweise fest, dass es sowohl Menschen gebe, die mit einer glücklichen Kindheit gesegnet seien oder sich an eine solche gerne erinnern; wiewohl auch solche, für welche die Kindheit ein Albtraum sei.
Und Bundesrat Ueli Maurer fordert auf erstaunlich launige Art und Weise dazu auf, sich das kindliche Staunen auch im Erwachsenenalter möglichst zu erhalten.
Start mit wenig Humor
Als Kontrast folgt als musikalische Eröffnung eine wenig von neugierigem Staunen inspirierte, ziemlich gestrenge Aufführung des Konzerts für Kammerorchester «Dumbarton Oaks» von Igor Strawinsky.
Eine kleine Besetzung des Lucerne Festival Orchestras (LFO) sowie dessen Chefdirigent Riccardo Chailly haben eine Bemerkung des Komponisten vielleicht etwas zu wörtlich genommen, wonach seine neoklassische Musik trocken, kalt und klar wie ein extra-dry Champagner sei.
Rhythmisch klingt dieses Auftaktstück zwar sehr pointiert, im Melodischen und hinsichtlich des feinen Humors bleiben aber noch einige Wünsche offen.
Infantil und oberflächlich
Als Fehlbesetzung erweist sich dann der Pianist Lang Lang als Solist im abgründigen Klavierkonzert in c-Moll von W. A. Mozart. Während mehr als einem Jahr musste der sonst als Supervirtuose durch die Welt tourende Lang Konzerte absagen, er litt an einer Sehnen-Entzündung der linken Hand.
Nun meldet er sich ausgerechnet mit Mozart zurück. Dessen Musik ist zwar für die Hände weniger anstrengend zu spielen als die virtuosen Reisser, jedoch erfordert sie auch Stilsicherheit, eine besondere Subtilität im Ausdruck und die Bereitschaft zu einer tiefgründigen emotionalen Zuwendung.
Dies kümmert den mittlerweile 36-jährigen offenbar herzlich wenig. So infantil und oberflächlich gespielt hat man dieses eigentlich düstere Werk kaum je gehört. Schon die allerersten Soloeinsätze verschleppt Lang auf fast romantische Weise, um danach eine weitgehend zusammenhangslose Aneinanderreihung von Klangeffekten folgen zu lassen.
Oberfläche pur
Einen Grossteil der melodischen mozartschen Läufe verwandelt er hemmungslos in chopineske Arabesken oder impressionistische Klangwölkchen. Freilich beherrscht er all diese Effekte nach wie vor, präsentiert sie selbstbewusst und reichert das Potpourri mit seiner ausgeprägten Mimik an, die oft die Musik konterkariert.
Doch das ist Oberfläche pur und intensiviert nicht etwa den Ausdruck, sondern lässt das Werk zu einer bizarren Karikatur verkommen. Daran kann selbst die fein ausgehörte Begleitung des Orchesters nichts ändern.
Steigerung mit Strawinskys «Feuervogel»
Nach diesem Tiefpunkt erreicht das Eröffnungskonzert endlich das gewohnt hohe musikalische Niveau. Strawinskys «Feuervogel» passt perfekt zum LFO. Die Musik dieses Märchen-Balletts ist gespickt mit diversen Soli und bietet dem aus Solisten der bedeutendsten europäischen Klangkörper zusammengestellten Orchester die Möglichkeit, sein ganzes Potential zu zeigen.
Besonders hervorgehoben seien etwa der langjährige Konzertmeister des LFO, Gregory Ahss und der Solobratscher Wolfram Christ, die sowohl solistisch brillieren, als auch im Verbund mit ihren Kollegen, wenn sie etwa hauchzarte Tremoloteppiche in den Raum zaubern.
Ebenso hervorragend und aussergewöhnlich ausgeglichen die Bläser, die den Feuervogel treffend charakterisieren. Riccardo Chailly vermag derweil die Superkräfte des Luzerner Luxusensembles gekonnt zu bündeln und es gelingt eine ungemein lebendige und farbige Darstellung dieses Werkes.
Dessen Klangzauber und Dramatik liegen Chailly offenbar näher als die neoklassische Leichtigkeit.