«Macht» ist das Motto des diesjährigen Lucerne Festival. Unter anderem wird der Film «Macht und Musik» von Maria Stodtmeier gezeigt.
Auf welche Machtverhältnisse in der Musik ist die Regisseurin bei ihren Recherchen gestossen – und wie wirken sie sich auf den Klang, die Musizierenden, das Publikum aus? Viel, meint Maria Stodtmeier.
SRF: Ist «Macht» ein passendes Motto für klassische Musik?
Maria Stodtmeier: Mit Macht kann man sich immer auseinandersetzen, finde ich. Es ist ein komplexes gesellschaftliches Thema. Macht ist überall spürbar.
Sie haben 2016 einen Fernsehfilm zum Thema «Macht und Musik» produziert. Wie hängt beides zusammen?
Zunächst einmal: Macht und Musik ist ein uferloses Thema. Unser Film setzt beim ersten Weltkrieg ein. Damals hat es begonnen, dass Musik manipulativ eingesetzt wurde. Was daraus im Zweiten Weltkrieg entstanden ist, und wie sich die Strukturen bis heute auswirken, das wissen viele nicht.
Zur Mobilmachung im ersten Weltkrieg haben sich Teile der Bevölkerung versammelt und den Bach-Choral ‹Nun danket alle Gott› gesungen.
Welche Rolle spielte Musik in den beiden Weltkriegen?
1914 etwa wurde in Berlin jedes Konzert mit dem Kaisermarsch von Richard Wagner beendet. Zur Mobilmachung im ersten Weltkrieg haben sich Teile der Bevölkerung versammelt und den Bach-Choral «Nun danket alle Gott» gesungen, davon gibt es auch Aufnahmen.
Und im Zweiten Weltkrieg hat das Fernsehen in den Nachrichten Kriegsbilder der Schlachten der deutschen Wehrmacht gezeigt. Sie wurden taktgenau mit heroischer Musik unterlegt, etwa mit «Les Préludes» von Franz Liszt.
Was macht das mit der Musik, wenn sie so eingesetzt wird?
Ich denke nicht, dass die Musik selbst Schaden nimmt. Man muss sich einfach über ihre Wirkung im Klaren sein. Das betrifft natürlich auch Wagners Musik und auch Bachs Choral «Nun danket alle Gott» in Deutschland. Diese Musik ist besetzt – und viele wissen das gar nicht.
Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren wurde dieser Choral unreflektiert bei sehr vielen politischen Anlässen in Deutschland gespielt und gesungen. Die Leute darüber zu informieren und zu sensibilisieren, das war auch ein Anliegen dieses Films.
Nicht alle, die wir angefragt haben, waren auch bereit, sich darüber zu äussern.
Sie haben mit vielen Musikerinnen und Musikern über das Thema Macht gesprochen. War es einfach, Gesprächspartner zu finden?
Nein, überhaupt nicht. Längst nicht alle, die wir angefragt haben, waren auch bereit, sich darüber zu äussern.
Warum ist Macht so ein heikles Thema?
Weil wir alle in Machtstrukturen stecken. Unfreiwillig. Das will nicht jeder zugeben.
Und die, die offen darüber reden?
Die sind mutig. Wir zeigen im Film die Pianistin Gabriela Montero, die bei fast jedem ihrer Konzerte auf die schwierige Situation in Venezuela aufmerksam macht. Wir zeigen auch den Dirigenten Ivan Fischer, der sehr offen über politische Vereinnahmung in Ungarn spricht.
Wir sprechen aber auch mit Valery Gergiev, der einerseits die Politik Vladimir Putins unterstützt, andererseits sagt, Musik sei für ihn per se unpolitisch. Das ist auch eine Haltung.
Und wer von Ihren Protagonisten hat Sie am Meisten beeindruckt?
Anita Lasker-Wallfisch. Sie ist eine der Überlebenden des Mädchen Orchesters in Auschwitz und erzählt, wie dort zu den furchtbarsten Dingen Musik gemacht wurde.
Trotzdem hat sie sich ihre Liebe zur Musik erhalten, und hat später als Cellistin das English Chamber Orchestra mitgegründet. Sie sagt: Musik ist nicht totzukriegen. Egal was man mit ihr macht.
Das Gespräch führte Jenny Berg.