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Musik Marcel Cellier lebte für die Musik des Ostens

Der Musikethnologe Marcel Cellier ist 88-jährig verstorben. Er hat die Musik des Ostens in den Westen gebracht, etwa den rumänischen Panflötenspieler Gheorghe Zamfir oder den Frauenchor «Mystères des Voix Bulgares». Wie es dazu kam? Marc Lettau, Journalist und Freund Celliers, erinnert sich.

Maya Brändli: 1950 fuhren Marcel Cellier und seine Frau Cathrine zum ersten Mal in den Osten – in einem kleinen Fiat Topolino. Weit kamen die beiden aber auf dieser ersten Fahrt nicht …

Marcel Cellier

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Marcel Cellier (1925-2013) ist vor allem in der Westschweiz bekannt, wo er jahrelang musikethnologische Radio-Sendungen machte. Durch seine Tätigkeit im Erzgeschäft in Osteuropa entdeckte in den 1960er-Jahren die osteuropäische Musik, die er im Westen bekannt machte. 2012 entstand der Dokumentarfilm «Balkan Melodie» über sein Arbeit und Verdienste.

Marc Lettau: Aus heutiger Sicht muss man sagen: Das war eine Reise geprägt von jugendlichem Leichtsinn. Die Destination war eigentlich Istanbul. Aber im Südosteuropa der Nachkriegszeit kamen die Celliers nicht rasch vorwärts. Ihr Topolino wurde an der bulgarischen Grenze versiegelt, sie lernten ein sehr verschlossenes Land kennen. Die Reise war kein Erfolg.

Aber das Land liess Marcel Cellier nicht los. Es war die erste Fahrt, und mit dieser startete ein sehr abenteuerliches Leben. Ein Leben, in dem er Musik sammelte – über 5000 Aufnahmen – und dafür rund 3 Millionen Kilometer gefahren ist...

Die beiden brachen wenig später erneut auf. Ein bisschen besser gerüstet. Sie hatten ein kleines Kofferradio dabei. Dieses Radiogerät eröffnete ihnen eine neue Welt: Radio Belgrad, Radio Skopje, Radio Sofia. Das weckte in ihnen das Verlangen, die Menschen hinter dieser Musik kennenzulernen.

Sie haben Marcel Cellier gut gekannt und seine Arbeit auch journalistisch begleitet. Was hat Sie an diesem Mann am meisten fasziniert?

Zunächst muss man festhalten, dass Marcel Cellier selbst ein begnadeter Musiker war. Aber er hat auch die Musik anderer mit Hingabe aufgesogen – ohne jede Vorurteile. Das und seine Ausdauer, sein langer Atem.

Marc Lettau

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Marc Lettau ist Journalist beim «Berner Bund». Er hat selber diverse Kulturprojekte in Bulgarien initiiert und dabei Marcel Cellier und seine Frau kennengelernt. Er begleitete Celliers Arbeit über mehrere Jahre und kannte den Musikethnologen gut.

Marcel Cellier hat nie genug gekriegt?

Nie. Er hat immer weiter gesammelt. Aber vor allem hat er auch immer die Menschen gesucht. Er hat mir erzählt, dass jeweils nach den Aufnahmen, die er mit seiner Frau gemacht hat, die Konzerte weitergingen. Dann sei für die Seele gespielt worden. Cellier hat wirklich die Nähe zu den Menschen gefunden.

Indem er osteuropäische Musik nach Westeuropa brachte, hat Cellier einige dieser Musiker sehr berühmt gemacht. Zum Beispiel des Panflötisten Gheorge Zamfir, aber auch den bulgarischen Frauenchor «Mystère des voix bulgares». Warum ist diese Musik bei uns so gut angekommen?

Diese Musiker kamem zunächst überhaupt nicht gut an. Genau das ist eine seiner grossen Leistungen. Er hat selbst entschieden, was ihm gefällt – und das hat er dann dem westlichen Publikum über Jahre zugemutet.

Die erste Platte von «Mystère des voix bulgares» wurde in einer Auflage von 2000 Schallplatten gepresst. Diese Schallplatten reichten für Jahre. 15 Jahre später erreichten solche Platten eine Millionenauflage. Marcel Cellier wurde 1989 für seine Aufnahme «Mystère des voix Bulgares» mit einem Grammy-Award ausgezeichnet. Grund für den Erfolg waren einerseits seine Beharrlichkeit, andererseits der westliche Hunger nach Ursprünglichem, nach Archaischem. Zu den frühen Fans zählten Leute wie George Harrisson, der Celliers Entdeckungen einfach toll fand.

Marcel Cellier hätte als Produzent viel Geld verdienen können. Er hat die Rechte an der Musik aber an grössere Vertriebsfirmen abgetreten. Warum tat er das?

Ich denke, er war nicht interessiert am grossen Geschäft. Er war zu sehr der Musik zugetan, zu sehr auf der Suche nach neuen Klängen. Ihm war das grosse Geschäft wohl zu gross.

Was hat Marcel Celliers Arbeit in den Heimatländern der Musiker ausgelöst, etwa in Bulgarien?

DVD-Hinweis

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Stefan Schwietert: «Balkan Melodie». 92 Minuten. Verleih: Look Now!

Sie hat sehr viel bewegt. Ganz verkürzt kann man sagen, dass der Begriff «Mystère des voix bulgares» heute wie ein Synonym verstanden wird für die lokale Gesangskultur. Die Titel, die er damals eingespielt hat, hört man heute immer noch fast täglich auf jeder Radiostation. Sie gehören zur Alltagskultur Bulgariens.

Darüber hinaus hat Cellier einen Beitrag geleistet, die Folklore und die avantgardistischen Elemente der neueren Kompositionen aus der Zeit des Sozialismus zu versöhnen. Heute haben die Bulgaren ein sehr unverkrampftes Verhältnis zu dieser Vokalkultur, und sie ist sehr identitätsstiftend für das Land. Dazu hat Marcel Cellier einen grossen Beitrag geleistet.

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