Zum Inhalt springen

Maurizio Pollini gestorben Ein Jahrhundertpianist, der Altes mit Neuem verband

Sachlichkeit war seine Sache – gegen Ende wurde er auch mal skurril. Nachruf auf einen Perfektionisten, der früher in der Fabrik auftrat.

Als «Kolosse», deren Werke viel zu wenig gespielt würden, bezeichnete Maurizio Pollini Avantgardisten wie Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono einmal, als ich ihn am Lucerne Festival interviewte. «Es ist ein Riesenfehler von Veranstaltern, Pianisten und auch von mir selbst, dass wir uns nicht genügend mit diesen aussergewöhnlichen Komponisten beschäftigt haben.»

Dabei setzte Pollini sich schon früh für die klassische Moderne und seine Zeitgenossen ein. Er spielte Musik von Debussy, Strawinsky und Schönberg sowie der Avantgarde. Später kuratierte er unter anderem für die Salzburger Festspiele die Konzertreihe «Progetto Pollini», in welcher er alte und neuste Musik kombinierte.

«Technisch besser als wir alle aus der Jury»

Die Karriere des Architektensohns begann allerdings mit dem klassisch-romantischen Repertoire. 1958 erspielte er sich den zweiten Preis beim Genfer Musikwettbewerb. 1960 gewann er als 18-Jähriger den bedeutenden Chopin-Wettbewerb in Warschau. Der Klaviergigant Artur Rubinstein bemerkte dazu: «Technisch spielt er bereits jetzt besser als wir alle aus der Jury».

Drei Männer, einer schüttelt dem jüngsten (rechts) die Hand. Zwischen ihnen ein Tisch mit Blättern. Dahinter Publikum.
Legende: Frühe Auszeichnungen: Maurizio Pollini, rechts, Preisträger für Klavier am Internationalen Musikwettbewerb in Genf, nimmt im Oktober 1958 in Genf die Gratulation und Auszeichnung entgegen. Keystone / Photopress-Archiv

Pollinis pianistische Perfektion und sein heller, abgerundeter Ton überzeugten Jury und Publikum, genau wie seine architektonisch-klare Formgestaltung und seine emotionale Durchdringung der Werke. In seinen Interpretationen blieb er aber trotz grosser Ausdrucksintensität sachlich und liess sich nicht zu impulsiven Ausbrüchen oder Sentimentalitäten hinreissen.

Manche empfanden das als kühl. Dennoch sind viele seiner Einspielungen bis heute zeitlose Referenzaufnahmen, etwa diejenige der Etüden von Frédéric Chopin.

Von der Fabrikhalle auf die grosse Bühne

Wichtige Impulse erhielt Maurizio Pollini von Arturo Benedetti Michelangeli, noch bevor er sich auf seine jahrzehntelange internationale Konzertkarriere einliess. Zunächst spielte er volksnah Konzerte für Arbeiter in Mailänder Fabriken und engagierte sich politisch. Später war er ausschliesslich in den renommiertesten Konzerthäusern der Welt Stammgast, in der Schweiz beispielsweise am Lucerne Festival.

Pollini war ein Publikumsmagnet und ein Garant für volle Säle. Er wurde auch vielfach geehrt und ausgezeichnet, unter anderem mit einem Grammy für seine Einspielung der Nocturnes von Chopin oder mit dem Ernst von Siemens Musikpreis.

Schwarz-weiss-Foto: Ein Mann sitzt am Flügel, hinter ihm sitzt sein Publikum (nahme).
Legende: Maurizio Pollini trat auch in der Schweiz auf: Er spielte u. A. im Sommer 1976 bei den Internationalen Musikfestwochen Luzern zwei Beethoven-Sonaten. Keystone

Eng befreundet war er mit dem Dirigenten Claudio Abbado und dem Avantgardisten Luigi Nono, den er liebevoll «Gigi» nannte und der für ihn unter anderem das Stück «... sofferte onde serene ...» für Klavier und Tonband komponierte. Eine Zusammenarbeit aller drei Freunde ergab sich in der Uraufführung des Werks «Como una ola de fuerza y luz».

In den letzten Jahren konzentrierte er sich in seinen Konzerten hauptsächlich auf seine Klassiker Beethoven, Schumann, Chopin oder Schubert, mit dem Ziel, seine Interpretationen freier zu gestalten. Ganz zuletzt fiel er auf der Bühne bisweilen mit Skurrilitäten auf. Doch stets blieb die Grösse und Meisterschaft Pollinis erlebbar, die in zahllosen Aufnahmen dokumentiert ist.

Radio SRF 4, Echo der Zeit, 23.03.2024, 18:00 Uhr.

Meistgelesene Artikel