Diese graue Mähne! Wer nichts über Patti Smith weiss, hat wenigstens ihr Haar vor Augen – und vielleicht das ikonische Cover ihres Debüt-Albums «Horses» (1975). Schwarzer Pony-Verschnitt, weisses Hemd, das Jackett über die Schultern geworfen. Patti Smith – die androgyne Andere, für alle Ewigkeit festgehalten von Robert Mapplethorpe.
Die Mapplethorpe-Geschichte hat die «Patin des Punk» ins Zentrum ihres Memoirs «Just Kids» (2010) gestellt. Eine Erinnerung an zwei Suchende – dazu Liebeserklärung an das heruntergenudelte New York-der 1970er-Jahre. Urszene: In einem Buchladen beugen sich die zwei gleichzeitig über eine Kette mit einem ägyptischen Amulett. Diese erste Berührung wird zum Symbol ihrer Verbindung. Zufall? Sicher nicht im Smith-Universum.
Krankheiten à discrétion
In «Bread of Angels» blendet Smith zuerst zurück – dann nach vorn. Hier nimmt eine Kindheit Gestalt an, geprägt von Umzügen, ersten Kunsterlebnissen und Krankheiten à discrétion. Klein-Patti hat nichts ausgelassen. Die demnächst 79-Jährige versteht ihre Bettlägerigkeit im Rückblick als Voraussetzung, sich auf eine Welt einzulassen, die sich der «sogenannten Wirklichkeit» entzieht. Das «Engelsbrot» ist dabei mehr als ein knackiger Titel: eine Metapher für die Sorte Nahrung, der Smith ein Leben lang nachspürt.
Unwirklich auch das Danach: New York, Aufbruch zu neuen Ufern. Eintauchen in die Kunstszene, die im «Chelsea Hotel» logiert. Smith schreibt Gedichte, bis sie zur Musik findet. Wird schnell zum Star. Sitzt unversehens neben dem Dalai Lama auf einer Bühne – und irgendwann mit Mann und Kindern in einem Haus bei Detroit. Robert Mapplethorpe war der «Künstler ihres Lebens» – Fred «Sonic» Smith der «Mann ihres Lebens». Es beginnen für die Nomadin die Hausfrauenjahre und damit jene Rückzugsphase, an die sich Smith bereits in «M Train» (2015) herantastete.
Leerstellen und Lebenslektionen
Es ist nun nicht so, dass man an «Bread of Angels» zu beissen hätte. Das kunstreligiöse Sendungsbewusstsein gehört zur bibelgeschulten Patti Smith, der Vokabeln wie «Erleuchtung» leicht von der Hand gehen. Eher Durststrecke ist für Nicht-Fans ist das emsig Enzyklopädische, das diesem chronologischen Nach-Erzählen anhaftet. Das buchhalterische Bemühen steht im Widerspruch zum «nicht-linearen Abenteuer», nach dem Smith früh der Kunstsinn steht. Immerhin wird ordentlich name-gedropped. «Michael Stipe hat angerufen!»
Sehr Smith-like: Da wird fast jedes Kleidungsstück «nachgetragen», dafür bleibt viel Trauma-Trächtiges relative Randnotiz. Dass sie mit 19 ein Kind zur Adoption freigab – man konnte es wissen. Mehr als einen Satz gönnt Smith dem «Bigger Bang» dieses Buches: Der Mann, den sie ein Leben lang als ihren Dad verehrte, ist nicht ihr leiblicher Vater. Ach, Ahnenforschung: Da kippt selbst die unerschütterliche Patti Smith aus ihren Schweizer Kampstiefeln. Aber nur kurz. Im Grunde ist genau das die Patti-Poetik: Wo andere Brüche beklagen, will sie Brücken bauen – und Wunden lassen sich in Kunst verwandeln. Bitte ungeschminkt.
Zurück zum «Horses»-Cover. Sie habe kämpfen müssen, dass das Mapplethorpe-Bild unretuschiert abgedruckt werde, erinnert sich Patti Smith. Vermutlich ist das ihr Vermächtnis: Da weigert sich eine, sich glätten zu lassen, will ihr eigenes Bild immer wieder neu belichten.
Dass ein paar Stellen dunkel bleiben – wer will es ihr verargen.