Ana Tijoux ist eine der ersten Frauen, die sich in die männerdominierte Rap-Welt Santiagos, der Hauptstadt Chiles, Anfang der 1990er-Jahre wagte. Darauf war sie gut vorbereitet. Denn bereits mit elf Jahren übte sie sich in Tanz und Rap in Frankreich, wo sie geboren und aufgewachsen ist.
Vom Exil geprägt
Ihre Eltern flohen vor der Pinochet-Diktatur ins Exil nach Frankreich und kehrten wieder nach Chile zurück, als sich die politische Situation dort entspannt hatte – zu diesem Zeitpunkt war Ana 16 Jahre alt und Hip Hop schon wie ihre zweite Haut.
Früh erlebte Ana Tijoux das Exildasein. Dadurch ist ihr kritischer Blick für Realitäten und soziale Probleme erwacht. Und ebenso das Bedürfnis, darüber zu sprechen. Und da war der Hip Hop das perfekte Medium für ihre Botschaften.
Der Rap als Helfer
Der Anfang in Santiago war für Ana nicht leicht. Alles war so anders, sie brauchte eine Weile, bis sie wirklich angekommen war. Doch dann fasste sie Fuss und dabei half ihr der Rap – ihre grosse Leidenschaft.
Ana Tijoux machte sich zunächst in der lokalen Szene Santiagos mit der Band Los Gemelos einen Namen. Danach setzte sie mit ihrer Hip-Hop-Formation Makiza neue Massstäbe für den lateinamerikanischen Rap: sozialkritische Botschaften und ausgefeilte Arrangements.
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Sie macht Tabus zum Thema
Von Anfang an setzt sie sich für sozial Benachteiligte ein. Das Schicksal von Frauen und die Dominanz der Männer werden Hauptthemen, die sie nicht mehr loslassen. Durch die ersten drei Alben wurde die französisch-chilenische Musikerin über die Grenzen Südamerikas hinaus auch mit Tabuthemen wie dem Leben im Exil oder der Teenagerelternschaft bekannt.
Ana Tijoux begann 2006 eine Solokarriere und wurde immer mehr zu einer Identifikationsfigur für eine ganze Generation junger Latinos. Ihr Hit «Shock» kritisierte die Bildungspolitik der chilenischen Regierung und wurde zur Protesthymne der Studentenbewegung.
Rappende Zeitzeugin mit kritischem Blick
Mit ihren Texten, ihren Beats und ihrer Bühnenpräsenz konnte sich Ana Tijoux in der internationalen Hip-Hop-Szene als eine der wenigen Rapperinnen behaupten. Viele ihrer Alben wurden ausgezeichnet. Gerade jetzt ist ihr neue Veröffentlichung «Vengo» erschienen.
«Das ist ein sehr politisches und aktuelles Album», erklärt die 38-Jährige. «Es geht hier etwa um die Migration – derzeit ein weltweites Problem: ob nun die syrische Flüchtlingskrise oder die Abwanderung der Kolumbianer nach Chile.» Die engagierte Rapperin agiert als Zeitzeugin und lenkt die Aufmerksamkeit auf historische und politische Momente. Sie kann nicht einfach die Augen verschliessen. Sie muss über soziale Missstände berichten.
Hört auf mit der Gewalt!
Im Song «Antipatriarca » auf dem Album «Vengo» geht es wieder einmal um Frauen. «Ich bin auf das Manifest ‹Companeros Argentines› gestossen, das sich direkt an argentinische Männer aus den Favelas mit den mahnenden Worten wendet: ‹Hört auf zu schlagen, hört auf zu schreien!›», sagt sie. Diese Worte sind Ausgangspunkt für Ana Tijouxs eindringliche Botschaft: «Die gewaltsame Dominanz des Mannes ist immer noch tief in unserer Gesellschaft verankert. Jeden Tag werden Frauen geschlagen und sogar getötet. Dagegen müssen wir kämpfen.»
Wie schätzt Ana Tijoux heute eigentlich die politische und soziale Lage in Chile ein? «Die 17 Jahre der Pinochet-Diktatur haben ihre Spuren hinterlassen», gibt sie zu verstehen und fährt fort: «Heute ist Chile noch ein junges Land, das aufwacht und sich allmählich verändert.»
Deutliche Worte spricht die Rapperin Ana Tijoux. Als scharfsinnige Beobachterin verbreitet sie sensible, kompromisslose Botschaften, die mit gelungenen Beats und heimischen Melodien wachrütteln.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 24.06.2015, 16:22 Uhr .