Nein, das wird kein wohliger Abend. Schon die drohenden Paukenschläge zu Beginn künden von Unheil. Und als Carl Rosman dann in langsamen Schritten auf die Bühne tritt, bekommt der Wahn eine Gestalt.
Rosman ist King George, der englische König, der stundenlang wirre Dinge sprechen konnte und Eichen und Kohlköpfe mit Menschen verwechselte. Rosman beginnt seine Performance – zehn Minuten später trieft sein schneeweisses Hemd von Schweiss. Da verausgabt sich wer.
Er schreit, röchelt, heult
In den Songs für diesen «Mad King» geht es um Wahnsinn, und wahnwitzig sind auch die Anforderungen, die der Sänger zu bewältigen hat. Extrem hoch, extrem tief, im Falsett hat er zu singen, dazu schreit, röchelt und heult er (in diesem Video zu sehen). Kaum ein klassischer Sänger, der sich das zutraut. Auch aus der Angst, die Stimme zu ruinieren.
Ich sitze derweil im Publikum und schaue ihm zu, diesem Wahnsinnigen auf der Bühne. Und es wird mir etwas unangenehm: Habe ich nicht irgendwann vor langer Zeit gelernt, man soll «komische» Leute nicht anstarren? Und da steht dieser Sänger auf der Bühne und bringt mich genau in diese Situation.
«Wenn es nur ums Starren gehen würde, wäre das tatsächlich nicht ‹very nice›», sagt Carl Rosman, «und es wäre für mich persönlich auch nicht besonders interessant.» Denn es gehe im Stück nicht darum, einen Verrückten vorzuführen. Für ihn seien diese «Eight Songs» vor allem einmal ein Stück Musik.
Trotzdem: ein musikalischer Dialog
Und tatsächlich: Das genaue Hinhören ist auch eine Möglichkeit, wie ich diesem Stück begegnen kann. Die extremen Lagen der Stimme, das Fiepen, Kreischen, Gurgeln – es spiegelt sich in den begleitenden Instrumenten.
Ich höre einen musikalischen Dialog, der absurd-witzig ist. Zwiegespräche zwischen dem König und der Flöte, dem Cembalo, dem Cello. Denn King George wollte seinerzeit seinen Vögeln das Singen beibringen, in diesen Songs sind die Instrumentalisten – das Ensemble Proton – die Vögel.
«Smash the violin with love»
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Dann aber passiert es mir, dass ich das Stück auf einer anderen Ebene zu erleben beginne. Ich höre spannende Klänge und interessante Tonkonstellationen – und es beginnt sich eine sonderbare Distanziertheit einzuschleichen.
Was sich dann allerdings schlagartig wieder ändert: Carl Rosman entwendet dem Geiger plötzlich das Instrument aus der Hand, zupft darauf herum, immer heftiger, plötzlich rutscht eine Saite vom Steg – ups, aber hallo jetzt! Vorsichtig bitte! Doch der Sänger schmettert mit einem grossen Schwung die Geige zu Boden. Holz splittert.
In diesem Moment schnürt einem der Wahnsinn dieses Königs den Hals zu. Der meint es ernst! Und das ist heftig.
Später, als ich Carl Rosman treffe, sagt er, er könne das Zerstören dieser Geige natürlich nicht wirklich üben. Aber der Komponist Peter Maxwell Davies habe ihm einen guten Rat gegeben: «Smash the violin with love», meinte er. Ein Gedanke, der ihm bis dahin noch nie gekommen war.