Francesco Lotoro lebt im apulischen Bari. Seit rund 20 Jahren sucht der Musikwissenschaftler musikalische Werke, die in Konzentrations- und Vernichtungslagern, in Gulags und Gefangenenlagern der Briten, Chinesen, Japaner und anderer Nationen entstanden sind – unter fast immer unmenschlichen Bedingungen.
Vorzeigelager Theresienstadt
Zwischen 1941 und 1945 waren rund 155’000 Juden im KZ Theresienstadt, einer Kleinstadt in der heutigen Tschechischen Republik, eingesperrt.
Das Lager galt als Vorzeigeanstalt. Die Musiker mussten den Besuchern, etwa denen des Roten Kreuzes, mit ihren Aufführungen demonstrieren, wie «gut» die Bedingungen in dem Lager waren. Berühmt wurde die dort uraufgeführte Kinderoper «Brundibar» von Hans Krása.
Nicht nur in Theresienstadt
Auch in anderen Lagern der Nazis wurde komponiert. Das weisen Hunderte von Kompositionen nach, die Lotoro in seinem weltweit einmaligen Archiv der Lagermusik aufbewahrt.
Von bekannten und heute unbekannten Musikern und Komponisten. Wie etwa vom Tschechen Pavel Haas und vom Franzosen Emile Goué. Ihre Biografien und Werke kannte bisher niemand. Bis Lotoro sie aufzuspüren begann.
Suche weltweit
Francesco Lotoro und seine Mitarbeiter suchten in Europa, den USA, in Israel, Russland und Asien verschollene Lagermusik. Jüdische Musik aus den NS-Vernichtungslagern nimmt heute nur noch einen Teil des immensen musikalischen Archivs ein, das Lotoro zusammenstellen konnte.
Ein Archiv, in dem sich auch Musik von Sinti und Roma, von Russen aus sibirischen Gulags, von Antifaschisten und anderen Internierten findet. Auch von US-amerikanischen Soldaten, die, wie Komponist Henry William Berry, 1942 beim Fall Singapurs von den Japanern eingesperrt wurden.
Detektivarbeit
Es dauerte oftmals lange, bis Lotoro, ausgehend von kleinsten Hinweisen, die Komponisten oder deren Verwandte ausfindig machen konnte. Bis auf Freiwilligenarbeit und wenige private Spenden gab es in den ersten Jahren seitens der städtischen, regionalen oder staatlichen Institutionen keine Hilfe für Lotoro.
Der Musikwissenschaftler bezahlte seine Forschungen aus eigener Tasche und nahm dafür Schulden auf. Aus eigener Tasche finanzierte er auch die ersten 24 CDs mit Lagermusik aus aller Welt. Die Künstler stellten sich für dieses Projekt gratis zur Verfügung.
Jetzt endlich!
Lotoros Einsatz wird seit Kurzem auch seitens öffentlicher Kulturinstitutionen und privater Sponsoren gewürdigt. In Bari wird eine ehemalige Destillerie zum sogenannten Campus der Lagermusik umgebaut. Die Kosten übernimmt die öffentliche Hand.
Der Campus wird das weltweit erste Zentrum zum Studium von Lagermusik. Die Einrichtung wird auch ein Theater und Studios zur Einspielung von Lagermusik umfassen. Universitäten aus Italien und anderen Ländern sind bereits an einer Zusammenarbeit interessiert.