«Weine, betrübtes Neapel, schwarzgewandet, über der Schönheit, der Tugend dunkles Geschick.» So klagt der Dichter Torquato Tasso über die Tragödie, die sich 1590 im Hause seines Freundes, des Musikers Carlo Gesualdo, ereignet hat. Begonnen hatte alles noch gut: Mit 20 Jahren heiratet Carlo, der Erbe des Fürstenhauses Gesualdo in Neapel, seine Cousine Maria d’Avalos. Sie gilt als die schönste Frau der Stadt, ist bereits zweifache Witwe und etwas älter als ihr neuer Ehemann. Die Hochzeit findet im Mai 1586 in der Kirche San Domenico Maggiore in Neapel statt. Maria d’Avalos schenkt Gesualdo den erwünschten Stammhalter – die Rechnung der arrangierten Ehe scheint aufzugehen.
Ein Blutbad
Doch dann erliegt Maria den Reizen des Herzogs von Carafa. Die beiden treffen sich heimlich in Gesualdos Palast in Neapel. Als Carlo vom Ehebruch erfährt, lockt er die Liebenden in eine Falle: Er täuscht einen Jagdausflug vor, kehrt überraschend zurück, ertappt die beiden in flagranti und bringt sie um. Zeitzeugen berichten über die Nacht vom 17. Oktober 1590:
«Wir fanden Don Fabrizio Carafa tot auf dem Boden. Seine einzige Kleidung bestand aus dem Nachtgewand einer Frau mit Rüschen aus schwarzer Seide. Ein Ärmel war rot von Blut. Im selben Raum stand eine vergoldete Liege mit Vorhängen aus grünem Tuch. Dort fand man Donna Maria in ihrem Nachthemd. Auch sie war in Blut gebadet. Sie war erschlagen und ihre Kehle durchschnitten worden.»
Wilde Mythen und Spekulationen
Links zum Thema
Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein Mythos um die Figur des Mörders und Musikers Carlo Gesualdo: Nach dem Doppelmord soll er von Furien gehetzt in sein Lehnsgut Gesualdo geflohen sein und dort als Einsiedler gelebt haben, dem Wahnsinn nahe, bisexuellen und masochistischen Ausschweifungen ergeben. Vor allem in der Romantik trieben die Phantasien vom exzentrischen Mörder ihre Blüten: So erfand der Theologe und Historiker Giacomo Catone in seinen Memoiren von 1842 drastische Details über Gesualdos Leben – bis hin zum Mord am eigenen Sohn.
Die sensationellen Einzelheiten um Mord und Wahnsinn des Fürsten Gesualdo wurden immer weiter gesponnen. Unter dem Leitthema «Amor e morte» interpretierten Autoren im 19. Jahrhundert die Gesualdo-Motive aus dem Blickwinkel der Epoche: Rasende Rachelust habe den gehörnten Ehemann zu einem Mord aus Leidenschaft getrieben. Spätere Autoren meinten gar, dass die Bluttat ihm seine Kreativität erst ermöglicht habe.
Zum Ehrenmord verpflichtet?
Dies wurde im Laufe der Gesualdo-Renaissance in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen und als Vorlage für Opern und Theaterstücke weitergesponnen. Und bis heute bietet Gesualdos düsteres Schicksal Stoff für Künstler und Komponisten. Erst in letzter Zeit sind mehrere Opern über ihn geschrieben worden, von Alfred Schnittke, Franz Hummel und zuletzt von Marc-André Dalbavie, uraufgeführt am Zürcher Opernhaus 2010.
Der italienische Musikhistoriker Annibale Cogliano hat sich intensiv mit Gesualdo beschäftigt – und historische Quellen zusammengetragen, die neue Erkenntnisse bringen. Für ihn ist Gesualdos Tat ein «Ehrenmord». Denn aus damaliger Sicht war Gesualdo geradezu verpflichtet, die Ehre des Hauses mit Blut reinzuwaschen. Zumal der Fürst für seine Bluttat auch nicht zur Rechenschaft gezogen wurde, weder die Kirche verurteilte seine Tat, noch die weltliche Justiz. Mehr noch: Der Vizekönig von Neapel schützte ihn vor der Rache des Hauses Carafa.
Alles andere als einsam
Und dass Gesualdo sich später vom florentinischen Maler Giovanni Balducci als Büsser darstellen liess, war zu jener Zeit durchaus üblich. Dieses Gnadenbild «Die Vergebung des Gesualdo» hängt über dem Altar von Santa Maria delle Grazie und zeigt unter dem segnenden Jesus Christus auch die spätere, zweite Ehefrau Eleonora: Sie hat ihrem Mann trotz seiner Seitensprünge und Grobheiten immer loyal beigestanden.
Völlig haltlos schliesslich ist der Mythos des vereinsamten Künstlers: Gesualdo hat in seinem Lehnsgut ein gesellschaftlich aktives Leben geführt, Reisen unternommen, Kirchen errichten lassen und eine Wasserleitung gebaut. Und in seinem Schloss gab es ein Theater, ein Orchester und eine Druckerei. Es wird also Zeit, vom Mythos Gesualdo Abschied zu nehmen.