Klaviere wurden zerstört, Noten verbrannt, Konzertsäle geschlossen, Orchester aufgelöst, Professoren am renommierten Konservatorium von Shanghai öffentlich diffamiert oder aufs Land deportiert. Vor allem die heute 50- bis 60-Jährigen hatten unter der Kulturrevolution zu leiden, mit der Mao Zedong seit 1966 brutal seine Macht konsolidierte. Westliche Musik war verboten, die Roten Garden bluteten das Riesenland kulturell aus.
Doch als der Diktator 1976 starb, stellte sich heraus, dass der Hunger nach Beethoven, Schumann und Tschaikowsky in den schlimmen Jahren noch gewachsen war. Am zentralen Konservatorium in Peking bewarben sich Tausende um die wenigen Studienplätze, Orchester wurden (wieder) gegründet, eine junge Generation chinesischer Komponisten wie Tan Dun machte international von sich reden ‒ vor allem durch ihre Musik für die aufblühende chinesische Filmindustrie.
Musik unter Kontrolle
Im Konzertleben läuft alles etwas langsamer. Bis heute kontrollieren musikalisch meist inkompetente Parteibonzen Orchester und Opernhäuser. Eine geregelte Bezahlung und soziale Absicherung der Musikerinnen und Musiker ist nur in grossen Städten wie Peking, Shanghai oder Guangzhou die Regel. Dass in China überhaupt peu à peu internationale Standards eingeführt werden, ist Pionieren wie dem in Berlin ausgebildeten Dirigenten Long Yu zu verdanken.
1998 gründete Yu das «Beijing Music Festival», bei dem sich chinesische Kräfte und westliche Gast-Ensembles begegnen. Opern von Wagner oder Richard Strauss erlebten beim Festival ihre chinesische Erstaufführung, man spielt chinesische Auftragskompositionen und traditionelle Musikformen. Und schon träumt Yu davon, dass es bald auch in der Provinz ein ähnlich reiches professionelles Musikleben geben wird wie in Europa.
Zwischen Kunst und Kapitalismus
Bis zu dieser kulturellen Vielfalt ist es freilich noch ein gutes Stück. Zwar hat man sich von internationalen Architekturstars fantastische neue Konzertsäle bauen lassen. Und einer der eindrucksvollsten ist sicher die im letzten Jahr eröffnete Shanghai Symphony Hall, die als ständig zugängliches «Haus für Musik» die Klassik (fast) allen Schichten zugänglich machen soll.
Aber die Städte haben oft nicht das Geld, um die attraktiven Säle zu füllen, viele Ensembles in der Provinz sind unterbezahlt und müssen auf populäres Musikrepertoire zurückgreifen. Sponsorship ist unter chinesischen Firmen noch unterentwickelt. Und dass Millionen von Kindern dem Klavieridol Lang Lang nacheifern, spiegelt nicht nur ihre Musikbegeisterung, sondern auch das Leistungsdenken im modernen China. So balanciert die Kultur derzeit zwischen Herzensbildung und Geschäft, Weltoffenheit und politischer Kontrolle.