Wenn der Chemieprofessor Mick Kolassa von der University of Mississippi nach Hause geht, dann tauscht er den weissen Kittel gern gegen einen schwarzen Stetson-Hut und die Reagenzgläser gegen ein Gitarren-Pick. Und er heisst dann nicht mehr Kolassa, sondern «Mississippi Mick». Er ist ein Freizeit-Bluesman, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Solist oder mit Band auftritt, und das seit über 50 Jahren. «Ohne den Blues gäbe es keinen Jazz, keine Country-Musik, keinen Rock'n'Roll», sagt der weissbärtige Hüne.
Der Blues hat es ihm so angetan, dass er sich in den Vorstand der privaten Blues Foundation wählen liess. Die Organisation versucht, das Erbe der amerikanischen Urmusik zu bewahren. Ein schwieriges Unterfangen, weil das Publikumsinteresse zuweilen gering ist. Blues-Festivals und -wettbewerbe, die die Organisation mitfinanziert, sind zwar meist gut besucht. Auch zeigen junge Künstler Interesse an den Stipendien, die die Blues Foundation vergibt. Aber «so richtig Breitenwirkung hatte der Blues nie», sagt Mississippi Mick, «er war in den USA nie richtig Mainstream und nie richtig populär».
Lieber Neues umarmen als zurückblicken
Das mag daran liegen, dass der Blues in einem der dunkelsten Kapitel der amerikanischen Geschichte entstanden ist, zu Zeiten der Sklaverei, und dass er den armen, ausgebeuteten Schwarzen als Kommunikationsmittel und zur Ablenkung vom entbehrungsreichen Leben diente.
Leicht verdaulich und unterhaltsam ist deshalb gerade der Delta-Blues, die Urform des Blues, für die mehrheitlich weisse US-Bevölkerung nicht. «Die Amerikaner schätzen ihn nicht sehr», meint Mississippi Mick und weist auf eine Auswirkung des amerikanischen Fortschrittsoptimismus hin: «Man umarmt viel lieber alles Neue statt zurückzublicken».
Im Zickzack durch die Blues-Geschichte
Den alten Delta-Bluesman, der unter einem Pekannussbaum «I've got the blues» summt, gibt es schon lange nicht mehr. Wer die Spuren des Blues finden will, muss sich auf Umwege begeben. Die «Blues Commission», eine Einrichtung des Staates Mississippi, stellt seit zehn Jahren Infotafeln an wichtigen Geburtsorten, Gräbern und Wirkungsstätten der Bluesgeschichte auf. Interessierte können sie im Zickzackkurs abfahren. Aber der Erkenntnisgewinn bleibt bescheiden. Das Gefühl einer authentischen Geschichtsreise mag sich nicht so recht einstellen.
Muddy Waters' Hütte
Mit Stolz verweisen «Bluesologen» dagegen auf das «Delta Blues Museum» in Clarksdale, die einstige Hauptstadt des Delta-Blues. Es ist im Güterschuppen des längst stillgelegten Bahnhofs untergebracht und das einzige seiner Art. Neben Videos, Gitarren, Plattencovern und Bühnenkleidern zeigt das Museum als Prunkstück die Baumwollpflückerhütte, in der Muddy Waters seine Kindheit verbracht hat. Sie ist gut zehn Quadratmeter gross und halb verwittert.
Ausserdem gibt es die «Muddywood»-Gitarre, nachgebaut aus Holz dieser Hütte. Die berühmte Rockgruppe ZZ Top hatte sie in Auftrag gegeben. Das Museum lebt von Spenden und wächst – nicht zuletzt, weil immer wieder Musikstars hierherreisen. Aber im Vergleich zur weit nördlich gelegenen Rock and Roll Hall of Fame in Cleveland, einer palastähnlichen Hommage an den Nachfolger des Blues, ist das «Delta Blues Museum» ein bescheidener Anfang.