Man erinnert sich: Im Mai 1980 bewilligte der Zürcher Stadtrat 60 Millionen Franken für das Opernhaus. Gleichzeitig lehnte er die Forderung nach einem autonomen Jugendzentrum ab. Die Jugend ging auf die Strasse, Zürich brannte, und das Resultat nach vielen Verletzten und Sachschäden in Millionenhöhe war die Einsicht, dass eine neue Jugendpolitik Not tat. Und eine andere Kulturpolitik: Kulturräume mussten her, und der Subventionskuchen musste neu geteilt werden.
Eines der Resultate dieser Neuausrichtung war die alternative Kulturstätte Rote Fabrik. Eine der ersten Gruppen, die in der Roten Fabrik Kultur veranstalteten – und vielleicht die letzte von damals, die immer noch existiert – war «Fabrikjazz», 1984 erstmals mit einem eigenen Festival, dem «Taktlos».
Basisdemokratische Musik
«Taktlos» widmete sich einer Musik, die in Zürich damals kaum zu hören war: Einer, die basisdemokratisch funktionierte wie das Umfeld, wild und frei, ungebärdig und improvisiert. Von Anfang an waren es die Musikerinnen und Musiker selbst, die die Organisation trugen, allen voran Irène Schweizer.
Fabrikjazz verstand seine Arbeit natürlich auch politisch, nicht zufällig wurde schon im dritten Jahr parallel zum «Taktlos» eine reines Frauenjazzfestival veranstaltet, «Canailles». Und ebenfalls nicht zufällig suchte man schon bald den Zusammenschluss mit anderen Städten. Um mehr Wahrnehmung zu bekommen und mehr kulturpolitischen Druck aufsetzen zu können, gab es ab 1987 für ungefähr zehn Jahre «Taktlos» parallel in Zürich, Bern und Basel.
In die Jahre gekommen
Diese Art von Musik, die anfangs der 80er-Jahren randständig war, ist als Kunstform anerkannt, und ist – wenn auch nicht im selben Masse wie die klassische – gut subventioniert. Und die Akteure, Veranstalter wie Musikerinnen und Musiker, sind mit der Veranstaltung älter geworden. Auch das Publikum.
So präsentiert sich das «Taktlos» heute zuweilen so, dass Festivalchef seit dem Anfang, Fredi Bosshard, mittlerweile Mitte 60, auf die Bühne tritt, und einem gesetzten und ergrauten Publikum eine Band ankündigt mit den Saxophonisten Evan Parker (70) und Trevor Watts (75) unter der Leitung des 67-jährigen Barry Guy. Wie dieses Jahr. Auch die Rote Fabrik ist in die Jahre gekommen, die klassenkämpferischen Parolen, die zuweilen auf den Wänden zu finden sind, wirken manchmal fast rührend unzeitgemäss.
Ein Generationenwechsel ist nötig
Link zum Thema
Musikalisch ist das «Taktlos» immer wieder eine spannende Veranstaltung: Die Musik, die von der Bühne der Aktionshalle schallt, lässt einen manchmal ziemlich ratlos zurück. Das ist ein gutes Zeichen: Taktlose Musik soll sich aufmüpfig gebärden. Auf der anderen Seite hat die Veranstaltung zunehmend Mühe, ein junges Publikum zu finden. Und den Alten, die früher kamen, ist die Rote Fabrik mittlerweile zu weit weg, zu alternativ, wenn nicht sogar zu schmuddelig.
«Taktlos» steht vor der Entscheidung, wie es weitergehen soll: Der Generationenwechsel müsste gelegentlich eingeleitet werden. Andere Schweizer Jazzfestivals standen am selben Punkt; Willisau und Montreux haben einen Neustart gewagt, manchmal kann er gelingen. Man darf gespannt sein, wohin das Festival «Taktlos» in den nächsten Jahren steuert.