David Zinman geht
Orte der Ruhe, Konzentration und Inspiration hat er immer wieder gesucht. In Zürich hat er sie gefunden. Ein wichtiger Ausgleich, ohne den es nicht geht. Wehmütig verlässt er die Stadt, sein Publikum, sein Orchester. Immerhin hat er in der Tonhalle den Zenit seines Schaffens erlebt.
Das Zürcher Erbe
Es ist ein beeindruckender Schaffens-Katalog: Zinmans Zürcher Erbe umfasst denkwürdige Konzerte und Tourneen, vor allem aber 52 Album-Aufnahmen mit dem Tonhalle-Orchester.
Darunter vier Schumann-Sinfonien, das gesamte Orchesterwerk von Richard Strauss und die hoch gelobten Interpretationen sämtlicher Beethoven- und Mahler-Sinfonien. Der Weg zu diesen gültigen Einspielungen verlangte Beharrlichkeit und intensive Basisarbeit.
Eine Zürcher Erfolgsgeschichte
Zinman sagt rückschauend: «Das Tonhalle-Orchester war schon immer sehr gut. Manche Leute sahen es als B-Orchester. Jetzt ist es ein A-Orchester. Dank unserer Arbeit in den letzten 20 Jahren.»
Seine Strategie für die Entwicklung des Orchesters bezeichnet er als ganz einfach: «Ich insistierte immer auf den Grundlagen: guter Rhythmus, gute Intonation, gutes Zusammenspiel. Wie der Coach einer Fussballmannschaft das Dribbeln und Zuspielen trainiert. Die Grundlagen machen ein gutes Spiel aus.» Das hektische Leben des Chefdirigenten gibt David Zinman nun gerne ab. Am Horizont indes stehen schon weitere Einsätze, erste Gastdirigate folgen schon im Sommer.
Zinman ist stolz auf viel Erreichtes. Das sind nicht nur die Konzerte sondern auch eine zündende Idee, um den Graben zwischen Generationen, zwischen U und E, zwischen Sinfonisch und Elektronisch zu überwinden: die «Tonhalle Late.»
«Tonhalle Late»
Die Idee zur «Tonhalle Late» entstand eher privat: Es war der Widerwille von Zinmans eigenem Sohn gegenüber klassischen Konzerten, die den Maestro zu einem musikalisch-kulturellen Brückenschlag inspirierte. Die «Tonhalle Late» ist ein Crossover-Event, der das klassische Konzerterlebnis mit der elektronischen Club-Kultur zusammenführte.
Mit seiner Vision, ein neues, junges Publikum für klassische Musik zu begeistern, stiess Zinman zunächst auf grossen Widerstand – auch aus seinem eigenen Orchester. Aber die Vision erwies sich als Erfolgsformel, stiess international auf breites Echo und gilt seit Jahren als Institution im Zürcher Event-Kalender.
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Die Kunst des Dirigierens
David Zinmans Wirkungskreis blieb nicht auf die Tonhalle beschränkt. Dafür, dass in seinen grossen Fussstapfen Jüngere nachkommen, sorgte er selbst. In Dirigentenkursen betrieb er beispielsweise an der Zürcher Hochschule der Künste aktiv Nachwuchsförderung. «Wenn ich mein Können weitergebe, helfe ich angehenden Dirigenten, ihren Weg in diesem heimtückischen Metier zu finden», meint Zinman mit einem Augenzwinkern.
Er weiss, dass ein gutes Orchester auch ohne Dirigent auskommt – theoretisch. Für Höchstleistungen wird es aber immer den visionären Kopf am Dirigentenpult brauchen. «Er gibt den Anfang und den Schluss, er gibt die Richtung, das Tempo und die Dynamik vor, aber auch den emotionalen Charakter der Musik. Er ist wie ein guter Reiter, der das Pferd durch den Sprungparcours führt», meint er.
Und dann noch das Abschiedskonzert
Sein Orchester, seine Dirigenten-Schüler, sein Publikum werden ihn vermissen. Der Abschied rückt näher. Für das Abschiedskonzert fiel die Wahl auf Mahlers «Auferstehungssinfonie». Das ist naheliegend und typisch für David Zinman. Die tiefe Symbolik des Monumentalwerkes mit grossem Orchester, Chor und Solostimmen wird den Dirigenten kaum dazu verleiten, das letzte Konzert mit Pathos zu feiern.
Im Gegenteil: Mit seiner Arbeit in Zürich hat Zinman bewiesen, wie packend, wie bewegend die grossen Werke von Beethoven, Brahms oder Mahler klingen, wenn sie ohne Schwulst und Pathos aufgeführt werden.