Beim Besuch im Münchner Apartment, wo Thomas Hampson während seines Gastspiels an der Staatsoper logiert, wird schnell klar: Hier geht ein Allround-Profi ans Werk. Hampson hat in seinem Laptop alle Lieder parat, um die es im Gespräch gehen soll – und zwar in mehreren Versionen. Zielstrebig und konzentriert diskutiert er die Vorschläge und entwickelt nebenbei gleich noch ein, zwei Konzert-Ideen.
Das Lied – Geschichte unseres Denkens und Fühlens
Schliesslich geht es um ein ureigenes Anliegen des Sängers aus Spokane im Bundesstaat Washington und Wohnsitz am Zürichsee: Lieder aus seiner Heimat. Songs of America. Aber auch das Singen ganz allgemein liegt ihm am Herzen. Schon bevor das eigentliche Interview beginnt, redet sich Thomas Hampson ins Feuer. «Ich möchte das Abgehobene des Liedgesangs revidieren. Die Leute glauben, es sei irgendwie ein Fach, sie begegnen da einer Kunstform, zu der sie keinen Zugang finden. Die man im Konzert sitzend bewundert, aber ja nicht antastet. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ein Eichendorff oder Heine, ein Walt Whitman wollten. Geschweige denn die Komponisten, die ihre Texte vertonten!»
Die Künste sind für Thomas Hampson das Tagebuch unseres Daseins. In welcher Sprache, in welcher Kultur auch immer. «Und ich finde es sehr spannend, dass wir heute, in der Gegenwart, rückblickend eine Geschichte unseres Daseins, Denkens und Fühlens erkennen können.» Gerade in den Künsten, und ganz besonders im Lied. Das Wort SONG werde ja, wenn man es rückwärts buchstabiere, zu GNOS – der griechische Wortstamm für erkennen.
Dank einer Nonne «wie besessen» von der Romantik
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Schon der erste Kontakt mit den Liedern der deutschen Romantik war eine Initialzündung für den jungen Mann, der noch schwankte zwischen Jus-Studium und der Musik. In seiner neuen Autobiografie «Liebst du um Schönheit» berichtet Hampson von seiner ersten Mentorin, der katholischen Nonne Sister Marietta Coyle. Sie sei mit ihm in die Schulbibliothek gegangen und habe ihm zwei Liedbände in die Hand gedrückt: die Peters-Ausgaben der Lieder von Schubert und Schumann, jeweils den ersten Band. Das Ergebnis: «Ich war wie besessen».
Dieses Feuer, das ihn weiter führte zu Gustav Mahler und den Komponisten der Moderne, hat Thomas Hampson nicht losgelassen. Seine Mahler-Aufnahmen mit Leonard Bernstein zählen zu den ergreifendsten Interpretationen dieser Lieder. Und mit seinem Projekt «Song of America», für das er mit der Library of Congress in Washington D.C. zusammenarbeitet, ist er zu einem Botschafter der Amerikanischen Lieder geworden.
Thomas Hampson als Radio-Moderator
Mit seinen Rezitals auf weit über 100 CDs hat Hampson bekannte und vergessene Songs neu interpretiert und ans Licht geholt. Er hat auch das Internet, kaum war es erfunden und für alle zugänglich, für sein Anliegen genutzt. Die «Hampsong Foundation» produziert ganze Serien von Radiosendungen mit ihm selbst als Sprecher. Diese Sendungen stehen unentgeltlich zur Ausstrahlung zur Verfügung, können aber auch via Internet angehört werden. Zu jedem Song, zu jedem Komponisten und Song-Dichter gibt es kurze, informative Artikel.
Natürlich steht ein ganzes Team hinter dieser Aufgabe. Hampson sitzt jeweils in einem der Aufnahmestudios jener Stadt, wo er sich gerade befindet. Via Skype sind ihm aus den USA oder England der beratende Musikwissenschafter, die Radio-Produzentin, der Text-Autor usw. zugeschaltet. Auch von dieser Arbeit erzählt er mit sichtlichem Vergnügen. Nicht nur auf der Opernbühne verkörpert er seine Rollen mit höchster Intensität und stimmlicher Präsenz. Auch die Rolle als «Anwalt der Lieder» scheint ihm wie auf den Leib geschrieben.