Er war kein Wunderkind. Der am 29. April 1899 in Washington, D.C geborene Edward Kennedy Ellington zeigte zwar grosse musikalische Begabung, aber überhaupt keine Lust zum Klavierüben. Malerei und Sport interessierten ihn weit mehr. Eine Zeit lang träumte er sogar von einer Karriere als Baseball-Star. Doch die Musik der Ragtime-Pianisten zündete den Funken beim Teenager, dessen coole Attitüde und diskrete Dominanz schon seine Mitschüler auf den Spitznamen «Duke» brachten. Und dass man mit Klavierkünsten auch bei den Ladys punkten kann, soll den jungen Duke zusätzlich zum Ragtime-Üben motiviert haben.
Im New York der Roaring Twenties schlug sich Duke Ellington entsprechend der aufkommenden Mode als Stride-Pianist durch, bis er mit seiner Band ein festes Engagement im angesagten Cotton Club bekam. Dort konnte er seinen ersten typischen Orchester-Sound entwickeln, den Jungle Style. Soloaufnahmen wie «Swampy River» von 1928 zeigen aber einen ideenreichen und technisch durchaus versierten Pianisten, der zwar nicht mit perlenden Läufen, aber mit überraschenden harmonischen Wendungen und rhythmischen Finessen aufwartet.
Das Klavier: eine eigene Section
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Am Klavier leitete der Duke die Auftritte der Band, vom Klavier aus erarbeitete er auch die Arrangements. Oft hatte er nur einen Nozizzettel dabei und spielte den Musikern seine Ideen vor, Stimme für Stimme, und setzte daraus dann das Arrangement zusammen. Da er die «expensive Gentlemen» seiner Band sehr sorgfältig ausgesucht hatte, konnte er sich mit Andeutungen begnügen und der Kreativität der Solisten die Details überlassen.
Doch unzählige Aufnahmen des Duke Ellington Orchestra wie auch kleiner besetzter Bands zeigen: Duke Ellington verstand es meisterhaft, seine Klaviertöne in den Orchesterklang einzufügen. «Er weiss, wann er spielen muss, und wann nicht», sagt der deutsche Arrangeur und Bigband-Leader Rainer Tempel über Ellington. «Der Duke schafft es, schon mit einem einzelnen Ton die ganze Band zu überdecken, er gibt damit auch Anweisungen über die Stimmung, gibt dem Stück eine neue Wendung. Und er behandelt das Klavier als eigene Section der Bigband, gleichberechtigt gegenüber Reeds und Brass.»
Die ganze Breite der Klaviatur
Bemerkenswert findet Tempel auch, dass Duke Ellington sehr häufig in extreme Lagen geht, scharfe Akzente im obersten Register des Klaviers setzt oder in den allertiefsten Bässen rumort. Der Ragtime und Stride-Spieler der 1920er- und 30er-Jahre sei bis zuletzt ein Klavierpianist geblieben. Im Gegensatz zu jüngeren Musikern, die das Instrument von den Bläserlinien her angingen, habe Duke Ellington nie ganz auf den Perkussions-Charakter des Klaviers verzichtet.
In den frühen Jahren seiner Karriere hat sich der Duke nur selten im Aufnahmestudio allein ans Klavier gesetzt. In den 30er-Jahren sind die solistische Aufnahmen rar. Erst als um 1939 der junge Bass-Virtuose Jimmy Blanton zur Band stösst, inspiriert dies den Bandleader zur Arbeit im Duo. Die Aufnahmen des Ellington-Blanton-Duos für «Pitter Panther Patter» gehören denn auch zu den grossartigsten Dokumenten des kammermusikalischen Swing.
Perlen des Duospiels sind auch die raren Aufnahmen mit seinem «alter ego» Billy Strayhorn. Der immer unterschätzte und zurückhaltende Arrangeur der Bigband war ein versierter Pianist und dem extrovertierten Duke ein geistreicher und witziger Partner auf Augenhöhe.
Vom Stride bis zum Free Jazz
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In den 1950er-Jahren griff die Mode des Klaviertrios um sich, auch Duke Ellington ging sporadisch mit seiner Rhythmusgruppe ins Studio. Auf dem Album «Piano In The Foreground» von 1961 zeigt er seine Offenheit gegenüber allerneuesten Strömungen mit George Gershwins «Summertime» – eine souveräne Annäherung an den Free Jazz. Sie liest sich aber auch wie ein musikalischer Kommentar des Duke zum Zeitgeschehen, dem Kampf für Bürgerrechte der Schwarzen in den USA.
Mit seinem Klavierspiel hat Ellington – am 24. Mai 1974 in New York gestorben – die nachfolgenden Generationen von Jazzmusikern ebenso beeinflusst wie als Bandleader und Arrangeur. Thelonious Monk oder Abdullah Ibrahim haben sich vom Duke die Klangfarben und die Ganzton-Läufe abgehört. Ob in der Bigband oder mit Kleinformationen, ob mit den Musikern seiner «Familie» oder mit grossen Kollegen wie John Coltrane, Max Roach oder Charlie Mingus: Die Klavierkunst des Duke, seine Art, Pausen zu spielen und Töne zusetzen, bleibt auch für die nächsten 100 Jahre eine ständige Inspiration.