«Von all unsern Kameraden, war keiner so lieb und gut, wie unser kleiner Trompeter, ein lustiges Rotgardistenblut», beginnt das «Lied vom kleinen Trompeter». Es handelt von dem sagenumwobenen Kommunisten Fritz Weineck, der 1925 von einem Polizisten erschossen wurde. Rauf und runter wird das Lied in der DDR gesungen, jede Schülerin und jeder Schüler muss es auswendig lernen und es fehlt bei keiner Staatszeremonie.
Doch das ist es nicht, was die Jugend in den 1950er Jahren singen und hören will – sie schielt nach Amerika zu Presley & Co. Aber Musik aus dem Land des Klassenfeindes hat es schwer in der DDR und wird als «imperialistische Unkultur» abgetan.
Von «Hootenanny» zur Singebewegung
1966 trifft sich eine Gruppe junger Musikerinnen und Musiker in Ostberlin zu regelmässigen Liederabenden. Sie singen internationale Folk- und Protestsongs, traditionelle Volkslieder und Chansons – ganz ungezwungen zu einfacher Gitarrenbegleitung. Das Modell heisst «Hootenanny» und kommt – ausgerechnet – aus den USA. Die internationale Folk-Welle schwappt in die DDR über und trifft bei der Jugend auf grossen Zuspruch. Doch die SED, Sozialistische Einheitspartei Deutschland, misstraut der Eigendynamik der aufkeimenden Jugendkultur. Für die sozialistische Ausrichtung der «Hootenanny»-Klubs sorgen zunächst systemnahe «Berater». Wenig später vereinnahmt die FDJ (Freie Deutsche Jugend) die «Hootenanny»-Idee, verpasst ihr ideologische Funktion und nennt sie «Singebewegung».
Mit Propagandakampagnen macht die FDJ die Bewegung einer breiten Masse schmackhaft und investiert in eine umfangreiche Infrastruktur: Mitte der Siebziger gibt es in der DDR 4000 Singeklubs, jährliche Werkstattwochen und Talentwettbewerbe, eine eigene Hitparade im Jugendsender DT64, Liederbücher und Konzertreihen und als internationales Schaufenster das «Festival des politischen Liedes».
Die Inhalte werden vorgegeben
Die erwähnten Lieder auf YouTube
Die FDJ regt zwar jeden an, selbst zur Gitarre zu greifen und Lieder zu schreiben, aber die Inhalte gibt die Jugendorganisation vor: Alltagsbezogen sollten sie sein, leicht verständlich und voller Zukunftsvisionen für die DDR.
Paradigmatisch erfüllt das Hartmut König in seinem Lied «Sag mir, wo du stehst». Zu eingängiger Melodie und rhythmischer Gitarrenbegleitung fordert er ideologische Gesinnung: «Sag mir, wo du stehst und welchen Weg du gehst. Zurück oder vorwärts, du musst dich entschliessen. Wir bringen die Zeit nach vorn' Stück um Stück.»
Zwischentöne und Subjektivität
Mit diesen Parolen verliert der verordnete Mainstream schnell seinen Reiz und viele junge Musikerinnen und Musiker finden ihn schlicht und einfach langweilig. Die Liedermacherin Barbara Thalheim will kritisch sein und ihre Wünsche aussprechen: «Ich suche mich – immer noch und immer wieder – und deshalb mache ich Lieder. Als ein ,Ich‘ unter vielen ,Ichs‘ in der Gesellschaft hoffe ich auf den Wiedererkennungseffekt, auf das Verallgemeinerbare für andere», sagt sie 1989.
Hartmut Königs Forderung «Sag mir, wo du stehst» setzt sie in ihrem «Höhlenlied» Zwischentöne entgegen: «Manchmal möchte ich heut noch eine Höhle haben. Wo man träumen kann und nicht an Grenzen stösst. Eine Handvoll Leute, die sich selber haben. Und nur auf sich selber hörn, auch wenn man nicht viel weiss.»
Auch musikalisch begnügt sie sich nicht mit dem Liedermacher-Klischee Gesang und Gitarre, sondern komponiert für Streichquartett und Rockband. Trotz ihrer teilweise offenen Kritik durfte sie im Ausland auftreten – auch in der Schweiz – was sie in der DDR zu einer Privilegierten machte.
Gegenstimmen nicht geduldet
Das Lied als Sprachrohr für Kritik am DDR-Staat hat im Singeklub allerdings keinen Platz. Mit Bevormundung, zensierten Texten und abgesagten Vorstellungen kämpfen viele kritische Liedermacher. Oft erhalten sie auch einfach keine Auftrittslizenzen: Bevor sie überhaupt konzertieren dürfen, müssen sie nämlich einer Kommission aus dem Kulturministerium vorspielen.
Wie repressiv der DDR-Staat mit Andersdenkenden umgeht, zeigt sich bei Wolf Biermann. Er singt vor allem über seine Enttäuschung über die real existierende DDR – so hatte er sich die Umsetzung der sozialistischen Idee nicht vorgestellt. Die SED quittiert ihm das mit Auftritts- und Publikationsverbot und erkennt ihm 1976 die Staatsbürgerschaft ab. Für das geistige Klima der DDR ist seine Ausbürgerung «ein Datum wie eine Geschichtswende: Vor Biermann und nach Biermann» - so der DDR-Schriftsteller Günter Kunert.
Folgenreich ist die Ausbürgerung auch für jene, die eine Solidaritätserklärung unterschreiben. Einige dieser Künstlerinnen und Künstler haben damit kaum noch Auftrittsmöglichkeiten oder werden verhaftet und ausgewiesen. Andere finden Nischen ausserhalb der staatlichen Strukturen, z.B. in Kirchen. Oder sie verstecken ihre Kritik «zwischen den Zeilen»: in Metaphern, Ironie und subtilen Anspielungen. Daraus entsteht eine Ästhetik, die das kritische Lied der DDR prägt.
Nach den Regeln gespielt, um überhaupt zu spielen
Eher leise sind die Anspielungen in den Liedern von Gerhard Schöne. In Interviews nach dem Mauerfall betont er immer wieder nach den Regeln der DDR gespielt zu haben, um sich Gehör zu verschaffen. Sein Podium findet der Pfarrerssohn von Anfang an in den Kirchen – eine Anbindung an den Singeklub lehnt er ab: «Da hätte man dann schon wieder von der FDJ-Leitung irgendwelche Vorgaben gekriegt».
Später tritt er vor grossem Publikum auf, ab 1983 auch in Rundfunk und Fernsehen. Sein Lied «Mit dem Gesicht zum Volke» verbreitet 1989 Hoffnung auf eine demokratische Erneuerung der DDR und wird zum Soundtrack der Montagsdemonstrationen. Zeitgleich singen die Funktionäre in den oberen Etagen das «Lied vom kleinen Trompeter». Das Lied konnte in der DDR also beides sein: staatstragend und staatsgefährdend.