Für Jazzmusiker ist es fundamental wichtig, einen eigenen Sound zu haben. Wer mit der Stimme oder einem Instrument unterwegs ist, arbeitet jahrelang daran. Noch schwerer hat es ein Arrangeur oder Komponist, wenn er einen sofort identifizierbaren Sound für sich in Anspruch nehmen will.
Im aktuellen Jazz denkt man da an Komponisten und Arrangeure wie Maria Schneider oder Vince Mendoza. Ihre Klangmischungen bestzen einen hohen Wiedererkennungswert. Aber auch der Wahlwiener Mathias Rüegg gehört in diese Kategorie.
Bigband-Sounds mit Mozart und Strauss
Für sein Vienna Art Orchestra hat er von Beginn weg sehr spezielle Repertoires ausgesucht und sich immer wieder von Komponisten aus der Klassik inspirieren lassen. Produktionen wie «The Minimalism Of Erik Satie», «From no art to Mo(z)art», «American Rhapsody» frei nach Gershwin, oder «All That Strauss» geben davon ein eindrückliches Zeugnis.
So gelang es Rüegg, europäische Wurzeln für den Jazz zu erschliessen. In den frühen Jahren besetzte Mathias Rüegg zudem die Position der vierten Trompete oft mit einer Frauenstimme. Die Sängerin Lauren Newton hat so den Bandsound entscheidend mitgeprägt.
Alpen-Jazz und Avantgarde-Lyrik
Auch die Auseinandersetzung mit alpenländischen Volksmusiktraditionen spielte in jener Zeit immer wieder eine Rolle. Dazu kamen diverse Spezialprojekte, etwa mit dem Lyriker Ernst Jandl, die einigen Solisten eigene Plattformen zur Profilierung verschafften.
Immer verstand es Mathias Rüegg dabei, seine Individualistentruppe zur Band zusammen zu schweissen. Umso erstaunlicher, wenn man sich ins Bewusstsein zurückholt, wie das VAO 1977 eigentlich entstanden ist: als eine Truppe von fröhlichen Anarchisten.
Von den neunziger Jahren an wandelte sich das Vienna Art Orchestra unter der Leitung von Mathias Rüegg immer mehr zu einer klassischen Big Band. Es ging nicht mehr so sehr um das European Songbook, sondern immer mehr auch um das American Songbook.
Neue Wege mit Duke Ellington
Mathias Rüegg nahm sich die Arbeiten von Duke Ellington vor, und stellte sich damit in eine ganz andere Tradition. Und von Ellington übernahm er auch das Prinzip, für die Solisten in der Band zu schreiben.
Der Komponist Mathias Rüegg hat seine Rolle in diesem Ensemble mit den Jahren auch neu definiert. Vom Organisator einer Chaotentruppe wurde er immer stärker zum Komponisten, der mit sicherer Hand ganze Repertoires konzipiert und schreibt. Die Trilogie «3», entstanden zum 30.Geburtstag des VAO, ist dafür ein starkes Dokument.
Und noch etwas fällt auch im Rückblick auf, wenn man die Arbeit von Mathias Rüegg verfolgt: Er hat immer wieder gezeigt, dass er nicht nur ein starker Komponist, Arrangeur und Bandleader ist, sondern dass er auch einen Überblick weit über sein eigenes Unternehmen hinaus hat.
Unermüdlicher Organisator mit kulturpolitischem Gespür
Rüeggs Talent, eine solche Gesellschaft über mehr als drei Jahrzehnte nicht nur mit Inhalten zu füttern, sondern auch ganz profan zu finanzieren, ist unbestritten. Auch in scheinbar ausweglosen Situationen hat er es geschafft, Mittel aufzutreiben und Sponsoren und Lösungen für Probleme zu finden.
Mit 60 Jahren schmiedet Rüegg Pläne und schreibt Musik wie eh und je. Noch im Oktober 2012 liess er sich sogar zu einer einmaligen Wiederauferstehung der ersten Ausgabe des Vienna Art Orchestra hinreissen und legte am «Generations» Festival in Frauenfeld einen mitreissenden Auftritt auf die Bühne.
Mit dem «European Jazz Prize» hat er zudem eine kulturpolitische Marke geschaffen, die der europäischen Jazzszene immer Beachtung gebracht hat. An Mathias Rüegg ist womöglich ein talentierter Kulturpolitiker verloren gegangen – auch wenn er das selbst vielleicht mit einem Augenzwinkern etwas anders sieht.