Mit 120 Millionen Menschen, die zahlungspflichtig streamen, ist China in Sachen Musik der grösste Markt der Welt. Die Zukunft der Musikindustrie liege darum in Asien, sagt der deutsche Musikproduzent und Autor Tim Renner.
Renner erklärt, wie der Musikkonsum in China funktioniert. Dort werde die Musikauswahl noch stärker als bei uns im Westen von Algorithmen gesteuert.
Perfekt an die Lebenssituation angepasst
«Eine Musik-App wird in Zukunft die Musikauswahl perfekt an die jeweilige Lebenssituation des Users anpassen», so Renner. Weil die Software wisse, wie es einem geht.
Sie registriere beispielsweise, welche Art von Emojis die Userin in Textnachrichten verwende. Oder ob der User lange gearbeitet habe und deshalb gestresst sei. In diesem Fall wählt die Software beruhigende Musik aus.
Doch da höre das Ganze nicht auf, sagt Renner: «In China ist es schon heute Realität, dass sich die Musikauswahl in Autos der Fahrsituation anpasst – zur Geschwindigkeit, zum Fahrziel oder zur Umgebung.»
Bewegungen in Klang verwandeln
Renner fügt bei, dass eine Userin zwar dauernd fremdgesteuert sei. Gleichzeitig werde die Musikauswahl aber individualisiert. «Wenn das Ganze gut gemacht ist, empfinden das viele Leute als angenehm», so Renner.
Schon heute sei es so, dass eine App auch selber komponieren könne – etwa im Bereich der Chill-Out-Musik. «Das wird sich in Zukunft noch verbessern, sodass Sensoren unsere Körperfunktionen und Bewegungen direkt in Klänge und Musik verwandeln», erklärt Renner. Wie ein ständiger Soundtrack zum eigenen Leben.
Und ausserdem: Kopfhörer sind in Zukunft überflüssig. Musik könne über digitale Chips hinter dem Ohr eingespielt werden, weiss Renner.
Einfach selber einen Mix machen
Als zweites wichtiges Szenario sieht Tim Renner die Aneignung von Musik, wie es in China populär sei. Einfachstes Beispiel: Karaoke.
Mit Streaming-Apps wie WeSing oder QQ Music könne jeder User seine eigene Version eines Songs einsingen und mit anderen teilen. Ob sich Karaoke in diesem Umfang im Westen etablieren wird, sei fraglich, sagt Renner.
Aber die Aneignung von Musik könne beispielsweise auch über einen eigenen Remix eines Songs passieren. «Wenn der Userin die Originalversion nicht gefällt, kann sie einfach auch selber ihre eigene machen», sagt Renner.
Passives Musikhören wird in China also dadurch ergänzt, indem sich ein User kreativ betätigt. Diese Entwicklung überrasche ihn nicht, sagt Tim Renner. Und: «Das wird sich auf den Westen übertragen.»
In Zeiten von Streamingdiensten und grenzenloser Verfügbarkeit von Daten sei so ein Modell quasi die nächste Stufe. Es sei wie bei der Maslowschen Bedürfnispyramide, wo ganz zum Ende beim Menschen die Selbstverwirklichung als Ziel komme. Und das sei es ja genau: Man mache die Musik zu seinem eigenen und personalisierten Ding.