Wie hätte sich wohl das Verhältnis zwischen Europa und seinen südlichen Nachbarn entwickelt, wenn Aeneas Dido nicht verlassen hätte und Karthago statt Rom das Zentrum seines neuen Reiches geworden wäre?
Oper mit arabischem Trio
Dies ist die Leitfrage, die sich das Münchner Ensemble Così facciamo (Leitung: Hans Huyssen) in seiner Produktion «Dido & Aeneas in Africa» stellt. Vielleicht kreist die Frage auch durch die Köpfe des Publikums, wenn drei arabische Musiker ein ganz anderes Feeling in Henry Purcells Barockoper bringen.
Etwas hochgesteckt ist die Frage schon: denn die in Fragmenten überlieferte Oper lassen Così facciamo unberührt. Sie vervollständigen sie aber mit arabischen Maqams – arabischen Modi, die Improvisationsgrundlage sind – und schauen mit interkulturellem Blick auf den Stoff: Dido ist Nordafrikanerin (heutiges Tunesien), Aeneas kommt aus Kleinasien (heutige Westtürkei).
Kulturelles Durcheinander
Für europäisch-arabische Experimente eignet sich Purcells Oper also gut und so steht links auf der Bühne das Barockensemble und rechts das arabische Trio. Unter ihnen erdiger Boden, eine angestrahlte Leinwand begrenzt die Bühne nach hinten.
Bewegung und Farbe bringt der solistisch besetzte Chor ins Spiel: verkörpert er die dunklen Mächte, die Dido befallen, schwirrt er bedrohlich in schwarzen Overalls umher. Als Didos Gefolge schlüpft er in orange ägyptische Kaftane mit afrikanischen Verzierungen.
Schwarze und weisse Königin
Aeneas wirkt in seinem Mantel wie eine russische Heldenstatue aus Bronze. Und die kathargische Königin (Stephanie Krug) selbst ist schwarz und weiss zugleich: Sie ist im inneren Konflikt zwischen Pflicht und Neigung und so lagert die Regisseurin Heike Hanefeld ihre Leidenschaften in ein tanzendes Alter Ego im weissen Kleidchen aus.
Besonders engagiert umgarnt diese Tänzerin die (manchmal zu) kontrollierte Dido in den Einschüben mit arabischer Musik. Die Maqams dienen als Kontemplationen über Didos Gefühlswelt und sind auch textlich sorgfältig ausgewählt, wie die Übertitel verraten. Sie sind mehr als exotisches Kolorit und so mag das auf der musikalischen Ebene stimmig sein.
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Auf der kulturellen Ebene gerät allerdings einiges in Schieflage: Der Leiter des arabischen Ensembles Saad Thamir kommt aus dem Irak. Zwar nimmt er Maqam, die in der ganzen arabischen Welt bekannt sind. Doch der Gefahr, arabische Musik pauschal als räumliche und zeitliche Einheit zu präsentieren, kann er damit nur schwer entgehen.
Gelungene Kontraste
Die abrupten Wechsel von der einen musikalischen Welt in die andere machen die ähnliche Klanglichkeit der historischen Instrumente des Barockensembles und der drei arabischen Instrumente (die Kurzhalslaute Oud, die Kniegeige Djoze und verschiedene Perkussionsinstrumente) etwas geschmeidiger.
Viele offene Fragen
Das zeitweise unpräzise Spiel von Così facciamo erschwert es aber, dass die barocke Seite wie aus einem Guss daherkommt. Nicht nur die Reibungen sind reizvoll, sondern auch die Berührungen: wenn etwa das Barockensemble Melodielinien der Maqams aufgreifen.
Im Gesamtpaket ist jedoch zu viel nicht zu Ende gedacht: Welche Funktion haben die arabischen Einschübe genau? Was soll auf der Bühne während diesen Einschüben passieren, wenn die Handlung stillsteht? Wie führt der Weg danach zurück in die Oper? Bewegt man sich auf der Zeitebene der antiken Vorlage, der barocken Umsetzung oder der heutigen Überlieferung traditioneller Musik aus dem Irak?
Vorhang also zu, und alle Fragen offen? Nein, denn der Ansatz von «Dido & Aeneas in Afrika» ist spannend. Und dem manchmal allzu abendländischen Opernbetrieb tut der frische Wind aus dem Orient durchaus gut.