Die Welt ist voll mit doofer Musik – nur wie kann man sie beschreiben?
Das ist nach vier Festivaltagen im Berliner Haus der Kulturen nicht klar geworden. Der Begriff bleibt verwaschen, auch wenn die Kuratoren des «Doofe Musik»-Festivals nicht müde wurden zu betonen, dass doofe Musik nicht automatische schlechte Musik sei. Sie wollten das Wort aus dem Niederländischen abgeleitet wissen, wo «doof» eine ähnliche Bedeutung hat wie «taub».
Es geht um den Spass
Präsentiert wurde Musik, die zum Träumen und Vergessen einlädt, zum Betäuben aller Sorgen und Ängste. Doch das schränkte das Programm in keinster Weise ein. Die einen können bei Schlagern gut abschalten, die anderen bei Klassik oder Popmusik.
Der persönliche Geschmack spielt ebenso eine Rolle wie die jeweilige
Hörsituation. Ist man ruhig oder gehetzt? Gibt es Störgeräusche? Wie oft hat man die Musik schon gehört? Der Kurator Detlef Diederichsen formuliert es so: «Doofe Musik entsteht im Hirn des Hörers.»
Beim Festival ging es vor allem um den Spass, den man mit dieser Musik haben kann. Da wurde zu Blödelgesängen Polonaise getanzt und bei Schlagerkonzerten mit Friedrich Liechtenstein, Justus Köhncke und dem
Adriano Celentano Gebäckorchester das sentimentale Liebeslied zelebriert – alles natürlich sehr ironisch.
Es ist schon witzig, wie die Hochkulturszene Darbietungsformen umarmt, über die sie die Nase rümpft, wenn sie in Bierzelten oder Kleingartenkolonien zelebriert werden.
Wegdriften von der Welt
«Es scheint eine biologische Notwendigkeit zu geben, den Kopf hin und wieder mal auszuschalten», erklärt Detlef Diederichsen. «Selbst hochgeistige Menschen mögen doofe Musik. Manche lassen einfach das Radio laufen oder sehen sich banale Serien im Fernsehen an. Das Wegdriften aus der ständigen Auseinandersetzung mit der Welt, die uns umgibt, scheint ein Reflex zu sein, ohne den es nicht geht.»
Dass Musik schon immer ein Mittel zur Weltflucht war, machte auch die
Literaturwissenschaftlerin Ebba Durstewitz klar. Sie sprach in einem
Vortrag über Beethovens 3. Sinfonie als Fetisch eines auf Abgrenzung und
Selbstüberhöhung bedachten Bildungsbürgertums.
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Musik nahm die Angst vor Fahrstühlen
Und auch die Musik, die uns umgibt, ohne dass wir es wollen, bekam ihr Fett weg – vor allem die sanften Melodien, die in Warenhäusern und Fahrstühlen zu hören sind. «Als in den USA die Welle losging, wo die grossen Wolkenkratzer entstanden und Fahrstühle etwas Zwingendes wurden, gab es das Problem, dass es viele Menschen gab, die Angst davor hatten, einen Fahrstuhl zu betreten», erklärt Detlef Diederichsen unter Verweis auf das Standardwerk «Elevator Music» von Joseph Lanza.
«Das erste, was man sich überlegt hat, war: ‹Wir stellen einen Menschen ein, der einen offiziellen, beruhigenden Eindruck macht. Der trägt eine Uniform
und bedient die Technik.› Aber so richtig haben die Leute die Angst vor den Fahrstühlen erst verloren, als dann eine angenehme, heitere Atmosphäre aufgebaut wurde, durch eine entsprechende Musik.»
Diese Musik wurde beim Festival in diversen Soundinstallationen ironisch auf die Schippe genommen. Im Fahrstuhl des Hauses grummelte bedrohliche Musik, die DJs des Clubs Ausland zusammengemixt hatten. In einer Toilette waren laute Klopfgeräusche zu hören: Field Recordings von Cristian Vogel.
Altbekannte Melodien im neuen, spannenden Kleid
Beim Eröffnungskonzert des Festivals ging es um Handyklingeltöne, die vielleicht schlimmste akustische Umweltverschmutzung unserer Zeit. Am Beispiel der bestehenden Erkennungsmelodie der Deutschen Telekom exerzierten elf Avantgarde-Musiker vor, was man mit solchen Soundsignalen alles anstellen kann.
John Kameel Farah umspielte sie mit schwelgerischen Klavierakkorden, Guido Möbius bettete sie in eine Collage aus Musikfragmenten, Geräuschen und eingesprochenen Werbebotschaften ein. Jeder Musiker benutzte eine andere Technik und andere Instrumente und je mehr die Melodie überlagert, verzerrt und
verfremdet wurde, desto interessanter begann sie zu klingen. Ein interessanter Effekt: Veränderungen können altbekannte Melodien neu erscheinen lassen. Doofe Musik kann so im Handumdrehen hochspannend werden.