Paul Lewis hat erst im Alter von 12 Jahren Klavier zu spielen begonnen. Mit 15 geht er zum Studium in eine Talentschmiede für junge Musiker in Manchester und später weiter an die renommierte Guildhall Shool in London. Dort spielt er an einem Meisterkurs Alfred Brendel vor. Die beiden verstehen sich gut, und ab 1993 nimmt Lewis alle paar Monate Unterricht bei ihm. In den sieben folgenden Jahren kann er nicht nur von den Hinweisen zur Interpretation profitieren, sondern auch hautnah erleben und mitverfolgen, wie Alfred Brendel Klangfarben erzeugt und seine ganz besonderen pianistischen Mittel einsetzt.
Auf die Frage, wie hoch denn das Honorar für so eine Lektion war, muss Paul Lewis lachen: Im Gegensatz zu den meisten prominenten Pianisten unterrichtet Alfred Brendel seine ausgesuchten Studenten gratis!
Gleiches Kernrepertoire
Paul Lewis spielt sämtliche späteren Werke Franz Schuberts ab 1822, alle Sonaten von Ludwig van Beethoven und auch die bedeutendsten Stücke von Franz Liszt. Das deckt sich mit Alfred Brendels Kernrepertoire.
Auch Lewis macht sich damit auf den wichtigen Konzertpodien der Welt einen Namen. Er etabliert sich in seiner bald 20jährigen Karriere als eigenständiger Künstler und tritt aus dem Schatten seines Lehrers heraus. Trotzdem zieht der Name Brendel in Lewis' Biographie die Aufmerksamkeit stets wie ein Magnet auf sich. Einerseits ist das zwar eine förderliche Referenz, andererseits lenkt es aber auch ab vom 40-jährigen Paul Lewis.
Gemeinsamer Abend am Lucerne Festival
Lewis tourt normalerweise alleine durch die Welt, am Lucerne Festival gibt er jedoch ein Konzert, zu welchem Alfred Brendel den einführenden Vortrag halten wird - Kalkül oder reine Künstler-Freundschaft? Das Management von Paul Lewis hält fest, dass dies weltweit der einzige gemeinsame Konzerttermin der beiden Künstler sei.
Brendel wird einige Stellen aus den letzten drei Sonaten von Franz Schubert selbst anspielen, was natürlich dazu einlädt, die beiden Pianisten direkt zu vergleichen. Lewis scheut diese Gegenüberstellung aber nicht:
Ein Nachfolger? Auf keinen Fall!
Nachdem Alfred Brendel im Dezember 2008 seine pianistische Karriere beendet hatte, fragten sich viele Klavierliebhaber, wer denn der neue grosse Schubert- und Beethoveninterpret in der Interpretationstradition Edwin Fischers und Alfred Brendels sein könnte. Einer seiner ehemaligen Schüler käme da natürlich in Frage. Paul Lewis distanziert sich bei allem Respekt aber vehement vom Gedanken, eine Art «Erbe» Brendels zu sein: «Ich bin ein anderer Mensch. Ich bin auch anders als Musiker.»
Video zum Thema
Im Video-Interview für VPRO mit Melchior Huurdeman in Amsterdam erklärt Paul Lewis 2011 ganz unumwunden, was er Alfred Brendel verdankt. Er nennt ihn einen «Meister der Botschaft». Von Brendel hebe er gelernt, dass das Klavier ein Reservoir von Möglichkeiten darstellt, um musikalische Botschaften zu formulieren. Ein Klavier könne ein Orchester darstellen, eine Singstimme, etc. – und Brendel sei über die Musik hinausgegangen, um die Bortschaften dahinter aufzuspüren und fassbar zu machen.