Die Rosenkranz-Sonaten geben bis heute Rätsel auf. Das hat auch mit Techniken, Spielweisen zu tun, die in Vergessenheit geraten sind. Ein kleines Glossar erleichtert den Einstieg und erklärt, warum ein verstimmtes Instrument gewollt sein und sich eine Geige durchaus wie eine Trompete anhören kann.
- Bogenvibrato -
Normalerweise tut man’s mit der linken Hand – das Vibrieren auf einer Geige, einem Cello oder einem anderen Streichinstrument. Den Ton also zum Schwingen, Zittern bringen. Doch zu Bibers Zeit, also im Barock, war auch das Bogenvibrato durchaus üblich. Der Bogen wurde abwechselnd etwas fester gedrückt, dann etwas weniger fest, wieder fester und so weiter. Und schon zittert der Ton aufs Schönste. Glücklich, wer auch das kann. Die linke Hand hatte damals mit dem Vibrato nichts zu tun.
- Rosenkranz -
Einen Rosenkranz zu beten heisst: sich mittels einer Gebetsschnur durch eine gewisse Anzahl Gebete hindurchzuarbeiten. Bibers Auftraggeber, der Erzbischof von Salzburg, hatte ein Flair für Rosenkränze.
Bibers Sonaten waren für ihn private Anregung beim Beten, Meditieren. Denn jede der 15 Sonaten aus Bibers Zyklus hat ein Gebet des Rosenkranzes zum Thema. Das ist Gebrauchsmusik der besten Sorte.
- Skordatur -
Wörtlich heisst das: Verstimmung. Die hat in der Regel in der Musik keinen guten Ruf. Es sei denn, die Verstimmung hat System und genau diese Verstimmung nennt man «Skordatur». So wird zum Beispiel die «normalerweise» auf A gestimmte Saite auf ein G heruntergestimmt. Diese Verstimmung ist dann ein gewünschter Effekt. Gewisse Doppelgriffe auf zwei oder drei Saiten sind dann leichter zu bewerkstelligen.
Bei einer Biber-Sonate werden die Saiten gar über Kreuz geführt! Logischerweise klingt das Instrument dann auch anders: Die Geige, etwa bei der Sonate zu Jesu Agonie im Garten Gethsemane (Sonate Nr. 6) ist dumpfer, ängstlicher als üblich: Die Geige ist kunstvoll verstimmt.
- Aria Tubicinum -
Das ist ein Trompetenstück auf der Geige. Wie soll das gehen? Die barocke Illusionskunst macht’s möglich. Fanfaren-Klänge der Geige und, wie eine Pauke dazu klingend, ein einziges Begleitinstrument: der Kontrabass! Keine Orgel, kein Cembalo – und fertig ist die Musik zu Jesu Aufstieg in den Himmel (Sonate Nr. 12). Ein Prachtsempfang für den Himmelsfürsten. Und eine feine Erinnerung daran, dass die Trompeten wieder erschallen, wenn’s dann mal zum letzten Gericht kommt.
- 2772 Takte -
So viele Takte umfassen, nach gewissen Zählweisen, die 15 Rosenkranz-Sonaten. 72 Bücher hat das Alte und 27 Bücher das Neue Testament. Zufall?
Fazit: Mehr als eine unterhaltsame Ablenkung
Eine «unterhaltsame Ablenkung, die man jedem konzertierenden Geiger während den Sommerferien empfehlen könnte». Das waren die Rosenkranz-Sonaten noch für den Geigen-Guru Carl Flesch in den 1920er-Jahren.
Mittlerweile hat sich das Bild gründlich geändert, und Bibers Sonaten-Zyklus gehört zu den Meilensteinen der Barockmusik. Ein Fundus unerschöpflicher Möglichkeiten und ein Hörvergnügen sondergleichen. Ob man nun einen Rosenkranz dazu in Händen hält oder nicht.