Der Oper «Die Soldaten» von Bernd Alois Zimmermann haftet der Ruf der «Unaufführbaren» an. Verschuldet haben ihn die damaligen Verantwortlichen der Kölner Oper, die das Werk 1960 als unspielbar zurückwiesen. Erst fünf Jahre später kam es unter dem Dirigenten Michael Gielen in Köln zur Uraufführung. Mittlerweile haben sich «Die Soldaten» auf den grossen Opernbühnen durchgesetzt. Über zwanzig verschiedene Inszenierungen hat das Werk seit 1965 erlebt. Die jüngste in Zürich.
Ironisch geradezu mutet es an, dass der ehemalige Intendant der Zürcher Oper, Alexander Pereira, als neuer Direktor der Salzburger Festspiele das Stück vor einem Jahr bei sich in Salzburg zeigte. Denn jetzt, in der zweiten Saison von Pereiras Nachfolger Alexander Homoki, sind «Die Soldaten» auch im Zürcher Opernhaus zu sehen.
Die Lorbeeren der Schweizer Erstaufführung indes hatte sich schon 1998 das Theater Basel geholt. In einer Aufführung mit dem Dirigenten Jürg Henneberger und in der Regie von Barbara Beyer, die in der Presse als «Sternstunde» bezeichnet wurde.
Gelungene Sprengung der Konvention
Bei der Zürcher Aufführung unter der Regie von Calixto Bieito und der musikalischen Leitung von Marc Albrecht darf man wiederum von einer Sternstunde sprechen. Die Idee eines Gesamtkunstwerkes, wie sie Zimmermann vorschwebte, haben Bieito und sein Inszenierungsteam sichtbar, hörbar, direkt erfahrbar gemacht. Die Sprengung der Konvention ist in Zürich ein weiteres Mal glaubwürdig gelungen. Das Orchester spielt auf einem grossen und in sich beweglichen Gerüst auf der Bühne. Die Musiker stecken in Tarnanzügen, ihre Aktionen sind aber umso sichtbarer.
Geradezu materialisiert sind die Klänge der komplexen Partitur, die den relativ kleinen Raum des Opernhauses zum Erzittern bringen. Nicht zuletzt hat man in Zürich auch die von Zimmermann geforderten Zuspielungen von Soldatenschritten und Explosionsklängen am Schluss der zweieinhalbstündigen Oper ernst genommen. Diese konkreten Geräusche sind keine versteckte Zutat, mit der man nicht so recht umzugehen weiss. Sie gehören als Klanggewalt und Klänge der Gewalt zur Aufführung dazu.
Bewundernswert, wie dem Dirigenten Marc Albrecht unterstützt von einem Hilfsdirigenten die Koordination des Riesenapparates gelingt. Steht er doch selbst mit dem Orchester auf der Bühne, hat also die Sänger im Rücken. Doch hat man nie das Gefühl eines musikalischen Blindflugs.
«Eine wohltuende Utopie»
Bernd Alois Zimmermanns Oper verlangt ein äusserst grosses Orchester, zusätzliches Schlagzeug mit Instrumenten bis hin zu bespielten Eisenbahnschienen, elektronische Zuspielmusiken, eine Jazz-Band und eine Sängerbesetzung mit mehr als einem Dutzend tragender Rollen, Schauspielern, Tänzern und so weiter. Zimmermann schwebte nichts weniger als das «totale Theater» vor. Doch nicht nur deshalb sind seine «Soldaten» nach wie vor verschrien. Es ist auch die Komplexität der Partitur, die selbst gestandenen Dirigenten den Schweiss auf die Stirn treibt.
Als «eine einzige Zumutung» bezeichnete denn auch Marc Albrecht die Partitur. Albrecht, der die Zürcher Aufführung leitet, erkennt in Zimmermanns «opus magnum» aber gleichzeitig auch «eine wohltuende Utopie». Dem Stück hafte das Potential an, so Albrecht, den Zuschauer «in besonderer Weise zu ergreifen, ja zu verändern».
Entfesselte Gewalt aller gegen alle
Dieses utopische Moment zuzulassen, muss indes jeder für sich selbst entscheiden. Tatsächlich aber ist im Zürcher Opernhaus Unerhörtes zu hören. Die Musik bekommt unter der Leitung von Marc Albrecht eine Wucht und Präsenz, die die Brutalisierung, aber auch Mechanisierung des Lebens nachvollziehbar macht, um die es in den «Soldaten» schliesslich geht. Die totale Ratio und Durchstrukturierung des Lebens, woran dieses ersticken muss. Und zugleich die entfesselte Gewalt, die schliesslich lebensbedrohlich wird.
Zimmermann bezieht sich in seinem Libretto auf eine Vorlage des Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz von 1774. Die Geschichte der Bürgerstochter Marie, die zur «Soldatenhure» wird, ist indes nur ein Teil der Handlungsebene. Zimmermann schwebte darüber hinaus eine apokalyptische Vision einer Gesellschaft vor, in der die Gewalt aller gegen alle herrscht. Auf musikalischer Ebene zeigt sich dieser totale Anspruch in der Verschränkung verschiedener musikalischer Idiome und stilistischer Ebenen. So erklingt in der Szene, in der Marie von dem Baron und Heeresführer Desportes verführt wird, der Bach-Choral «Ich bin’s, ich sollte büssen». Damit bringt Zimmermann einerseits eine religiöse Komponente ins Spiel, andererseits verweist er innerhalb der Oper auf die Zukunft Maries: Sie wird durch Desportes zugrunde gehen.
Calixto Bieito ist ganz bei sich
In der Figur der Marie konzentriert sich denn auch die ganze Oper. Da ist Zimmermanns Werk ganz der Tradition verhaftet. Die dänische Sopranistin Susanne Elmark erweist sich in der Zürcher Produktion dieser Verantwortung völlig gewachsen, in sängerischer Höchstbeweglichkeit und schauspielerischer Präsenz. Es ist schier unfassbar, mit welcher Souveränität sie ihre unsingbar anmutende Partie darbietet und dabei noch ein schauspielerisches Niveau erreicht, das dieser Figur die Glaubwürdigkeit des Lebendigen gibt – selbst dort, wo nicht gesungen wird: Wo Marie mit ausgestreckten Armen dasteht, den Blick ins Publikum, während um sie herum die Musik wie Granatenhagel herunter donnert.
In solchen Szenen, wo der nackte Mensch hilflos der ihn umgebenden Gewalt ausgeliefert ist, verdichtet sich denn auch die Arbeit Bieitos. Hier ist er ganz bei sich. Einerseits ist der Regisseur mit den «Soldaten» zu seinen Anfängen zurückgekehrt, zu einem Theater des Blutes und der Gewalt, gerade der sexuellen. Andererseits hat er in den vergangenen Jahren auch gelernt, den feinen Regungen nachzuspüren, die gerade dieses Stück durchziehen – den Momenten zarter Menschlichkeit. Sie sind, utopisch in die Zukunft weisend oder verschüttet und für immer verloren, das Herz dieser Oper. Ob es weiter schlägt über den Schlussapplaus hinaus, liegt in der Verantwortung des Publikums.