Seit 46 Jahren sind die Wittener Tage für Neue Kammermusik eines der wichtigsten Festivals für zeitgenössische Musik. Die grossen Komponisten und Interpreten treten dort auf. Dieses Jahr feierte dort das Arditti Quartet seinen 40. Geburtstag, und ausserdem fungierte der französische Computermusikpionier Philippe Manoury als Composer in Residence.
Aber Witten bietet auch jungen Komponisten eine Plattform. So fährt man jedes Jahr hin, um vielleicht etwas Neues zu entdecken – denn dieses Neue ist auch in der Neuen Musik rar geworden. Vieles, ja fast alles, so könnte es scheinen, ist schon mal gemacht worden.
Einsatz von «neuer Technologie»
Die jüngeren Komponisten, die «digital natives», die mit dem Computer aufgewachsen sind und ihn ganz selbstverständlich verwenden, verfügen mit den neuen Medien und Technologien freilich über ein Feld, das sie neu bearbeiten können.
So der 35 Jahre alte Belgier Stefan Prins. In seinem Stück «I’m Your Body» für Ensemble und Live-Elektronik bewegt er sich an der Schnittstelle von Körper und Computer. Die Technologie verlängert den Körper und schafft so ein hybrides Gebilde, sagt der Komponist. Prins setzt bei einer Entwicklung an, die die Naturwissenschaften stark beschäftigt, und er transferiert sie in die Musik. Die Instrumentalklänge werden so durch die Elektronik erweitert, dass die Grenze dazwischen nicht mehr spürbar ist, sie werden gestört, gesprengt, verlängert, verfremdet. Es entsteht eine äusserst spannende Interaktion.
Die neuste Technik ist nicht für jedermann
Diese Arbeit mit neuer Technologie ist zwar das Merkmal einer jüngeren Komponistengeneration, die in letzter Zeit stark in der Diskussion steht. Wer freilich meint, alle jüngeren Komponisten müssten so vorgehen, sieht sich getäuscht. Das Festival von Witten stellte hier ganz unterschiedliche Musiken vor. Der Schweizer Michael Pelzel zum Beispiel, der in Stäfa als Organist wirkt, gab sich in seinem Ensemblestück «Sculture di suono – in memoriam Giacinto Scelsi» klanglich wuchtig und radikal.
Aber nicht jeder und jede verfügt über so viel Power wie Michael Pelzel, um sich Gehör zu verschaffen. Die Italienerin Clara Iannotta (Jahrgang 1983) suchte im Gegenteil ihr Glück im Feinsten. In ihr Trio «The People Here Go Mad. They Blame the Wind» für Klarinette, Cello und Klavier mischt sie Melodien von Spieluhren, die wie vom Wind herbeigeweht werden und zu subtilen Verfremdungen führen. Da musste man schon sehr sehr fein hinhören.
Junge Komponisten kann man nicht schubladisieren
Zwischen den Kulturen hingegen steht die 36 Jahre alte Komponistin Zeynep Gedizlioğlu. Sie ist in der Türkei aufgewachsen, studierte aber in Deutschland und lebt heute in Berlin. In ihrem Ensemblestück «Jetzt mit meiner linken Hand» versucht sie diese Gegensätze zu verbinden. Eine traditionelle türkische Musik wird hier ständig neu eingefärbt und gerät so in unterschiedliche Klangräume. Und dadurch entsteht eine äusserst lebhafte Musik.
Die Beispiele zeigen: Einordnen und auf einen Nenner bringen lässt sich diese jüngere Komponistengeneration mitnichten. Vielmehr scheint es, als stehe sie ein wenig zwischen allen Stühlen. Aber gerade das kann ja auch äusserst befruchtend sein.