Sie mussten das Festival nach dem plötzlichen Tod von Armin Köhler früher als geplant übernehmen. Wieviele der Ideen stammen noch von Ihrem Vorgänger?
Björn Gottstein: Wenn ich es in Prozentzahlen umrechne, so stammen etwa 60 Prozent von Armin Köhler und 40 von mir.
Gesetzt waren die eingeladenen Ensembles und ausserdem viele der Aufträge. Einige davon haben sich zerschlagen. So kann man von aussen betrachtet kaum sagen, was von wem kommt. Der Wechsel wird sich nicht in einer ästhetischen Kehrtwende manifestieren.
In den ersten Konzerten begaben sich gleich drei ungewöhnliche Komponisten über die Grenzen der Neuen Musik hinaus in die Bereiche des Punk und Jazz. Dahinter könnte man einen Wechsel vermuten.
Tatsächlich sind diese drei Werke in dem, was sie suchen, ähnlich. Zwei dieser Aufträge, jene für Bernhard Gander und Michael Wertmüller, waren von mir. Aber jener für Klaus Schedl kam noch von Armin Köhler. Insofern ist der Unterschied nicht so deutlich sichtbar.
Was ist in den kommenden Jahren zu erwarten?
Es wird keinen radikalen Bruch geben. Donaueschingen ist einfach ein tolles Festival; was hier gefeiert wird, soll auch weiter hier gefeiert werden, etwa die Orchesterkonzerte. Der Prozess der Veränderung wird eher ein schleichender sein.
Im Moment geniesse ich diese Offenheit. Darunter werden gewiss auch einige Fehlschläge sein, aber das Risiko gehört ohnehin zur Neuen Musik.
Sie werden aber sicher versuchen, eigene Akzente zu setzen?
Natürlich. Armin Köhler hat am Anfang auch sehr viel ausprobiert und dann mit der Zeit einen gewissen Stil gefunden. Ich bin jetzt an dem Punkt, an dem er anfangs war. Vielleicht werde ich auch, wenn ich die Musiktage einmal abgebe, einen Stil des Festivalmachens gefunden haben.
Im Moment jedoch möchte ich diese Offenheit geniessen. Darunter werden gewiss auch einige Fehlschläge sein, aber das Risiko gehört ohnehin zur Neuen Musik.
Wie ermöglichen Sie Neues?
Gelegentlich entstehen Konzertprojekte in enger Zusammenarbeit mit den Ensembles. Dabei diskutieren wir intensiv über Aspekte wie Konzertform, Dramaturgie und Raumgestaltung. Beim Ensemble Kaleidoskop aus Berlin etwa werden auch ein Choreograph und ein Lichtgestalter mitarbeiten, so dass von aussen Elemente hinzukommen, worauf sich die Komponisten einlassen müssen. Das ist ein ganz anderes Arbeiten, ermöglicht aber auch Neues.
Wenn man früher nach Donaueschingen kam, gab es da bloss die Aufführung und das Programmbuch. In den letzten Jahren wurde die Vermittlungsarbeit ausgebaut. Wollen Sie diesen Bereich weiterentwickeln?
Ich habe letztes Jahr die Kommodengespräche mit den Komponisten eingeführt, aber ich glaube nicht, dass ich das noch verstärken muss. In Donaueschingen haben wir ein sachkundiges Publikum. Die Menschen, die hierher kommen, bringen in der Regel ein gewisses Verständnis und Wissen mit. Wer den weiten Weg nach Donaueschingen auf sich nimmt, der muss nicht noch «abgeholt» werden.
Ich hatte wenig Lust, jemanden einzuladen, der mir erzählt, was ich ohnehin schon denke.
Erstmals gibt es eine Vorlesung des englischen Philosophen Roger Scruton. Er komponiert selber, ist politisch und musikalisch für seine konservativen Ansichten bekannt. Das ist ein echter Kontrapunkt.
Solche Dinge möchte ich auch in Zukunft ausprobieren, allein der Vielfalt wegen. Ich hatte wenig Lust, jemanden einzuladen, der mir erzählt, was ich ohnehin schon denke. Ich wollte jemanden, der eine Gegenposition vertritt, die er aber begründen kann. Es geht mir nicht um Provokation, sondern um Kontroverse.
Wir sind in Donaueschingen quasi im Epizentrum der Neuen Musik. Da bedarf es doch auch manchmal der Provokation, um ein musikalisches Beben auszulösen.
Nicht, dass man den Skandal sucht, aber bei einigen Künstlern, mit denen man arbeiten möchte, ist die Provokation fast unvermeidlich. Es gibt Komponisten, die sich von der Neuen Musik abwenden und auf ganz andere Wege geraten, und wenn man sie dann nach Donaueschingen zurückbringt, besteht von vorneherein eine Diskrepanz, die sehr interessant sein kann.