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Musik durch Gestik Es klingt dank Hand und Fuss

Elektronische Musik ist für das Publikum eine visuelle Unterforderung. Es geht aber auch anders: Dank Bewegungssensoren können elektronische Klänge mit Gesten erzeugt werden. Diese Technik zu lernen ist gar nicht einfach.

Elektronische Musik hat ein grosses Manko: Ihre Performance ist – höflich ausgedrückt – unspektakulär. Um ganze Klangwelten entstehen zu lassen, genügt es, ein paar Knöpfe zu drücken und im richtigen Moment den richtigen Regler hochzuziehen.

Einige Musikerinnen und Musiker suchen darum einen Ausweg aus dieser Situation: Sie wollen, dass ihre Körper in der elektronischen Musik stärker zum Einsatz kommen und suchen Möglichkeiten, ihre Sounds nicht über Regler und Knöpfe, sondern durch Gesten und Bewegungen zu steuern.

So komplex wie eine neue Sprache

Dafür binden sie sich verkabelte Manschetten um die Handgelenke, stülpen sich Sensorenhandschuhe über oder setzen Kameras ein, die ihre Bewegungen im Raum aufnehmen und in Musik umwandeln. Die Tools setzen über eine Software bestimmte musikalische Prozesse in Gang, sie steuern oder manipulieren die Musik – ob das nun die eigene Stimme ist, futuristische Synthesizertöne oder geheimnisvolle Geräusche.

«Gestural Music» nennt man diese Strömung. Die Künstler können mit ihren «Wearables» die Musik steuern und manipulieren. Diese Technik zu beherrschen – also genau zu wissen, welche Bewegung welchen Effekt auslöst, und damit kreativ zu arbeiten – ist fast so komplex wie das Erlernen einer neuen Sprache.

Ein Überblick über die Verbindung von Bewegung und Elektronik:

1. «Mi.Mu Gloves»: Chagall

Die Mi.Mu Gloves sind komplexe und hoch sensible Sensorhandschuhe, mit der die holländische Musikerin Chagall ihre eigene Stimme live verfremdet. Die Effekte steuert sie nicht nur über ihre Gesten, sondern auch durch ihre Bewegungen im Raum, die eine Infrarot-Kamera aufnimmt. Wer hat’s erfunden? Die Musikerin Imogen Heap, gemeinsam mit einem Team von Ingenieuren. Und wer hat’s bezahlt? Die Fans: Die Mi.Mu Gloves sind das Ergebnis einer Crowdfunding-Aktion.

2. «The Hands»: Michael Waisvisz

Michael Waisvisz hat das STEIM in Amsterdam geleitet, das Studio for Electro-Instrumental Music. Dort entwickelte er bereits in den frühen 1980er-Jahren «The Hands»: Manschetten mit Ultraschallsensoren, die auf Handbewegungen reagieren. Über die Distanz zwischen den beiden Händen steuert Waisvisz die Lautstärke, über Drucksensoren spielt er einen Synthesizer, der hinter der Bühne steht. Auch wenn solche Technologien damals noch Kabel brauchten: Die Illusion ist trotzdem perfekt.

3. Das Theremin: Léon Theremin

Das Theremin ist knapp 100 Jahre alt und das erste mit Gesten und ohne Berührung spielbare Instrument der Geschichte. Der russische Physikprofessor Léon Theremin hat es 1919 erfunden. Gesten beeinflussen ein elektromagnetisches Feld. Die eine Hand übernimmt die Lautstärke, die andere die Tonhöhe. Doch so synthetisch und futuristisch das Theremin auch klang – gespielt wurde darauf nicht die Musik der Zukunft, sondern vor allem klassische Musik des 19. Jahrhunderts. Auch heute noch eine Attraktion.

4. «Nonverbal Communication»: Mimi Jeong

Auch Tänzerinnen und Tänzer haben diese Technologien für sich entdeckt, zum Beispiel Mimi Jeong: Aus den Daten ihrer Sensorhandschuhe erzeugt eine Software einerseits Musik, über die der Künstler Julien Brun live bestimmte Effekte legt. Anderseits steuern ihre Bewegungen auch das Mobilé, das über ihr schwebt. Die Sounds stammen vom Schweizer Pionier der elektronischen Musik Bruno Spoerri, der schon jahrelang mit Sensorhandschuhen experimentiert und somit hier ganz in seinem Element ist.

5. Das «Fello»: Andi Otto

Der Hamburger Musiker und Komponist Andi Otto hat an seinem Cello ein Mikrofon befestigt, das die Klänge verstärkt und aufnimmt. Der Clou steckt aber im Cellobogen. Dort sind kleine Sensoren befestigt. Jede Bewegung des Bogens ist eine Funktion zugeordnet, die die Celloklänge live verfremdet, manipuliert oder mit Effekten belegt. Bis Andi Otto verinnerlicht hatte, welche Bogenbewegung welchen Effekt erzeugt, musste er jahrelang üben.

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