Sie heissen Zaz, Stromae oder Benjamin Biolay. Und man nennt sie: die neue Piaf, der neue Brel oder der neue Gainsbourg. Dabei ist die junge Szene sehr eigenständig, und sie strotzt vor Vielfalt. Aber verkaufen lassen sich die Alben dennoch besser mit diesen Stigma. Aber wie viel davon ist Verkaufsstrategie?
Die neue Piaf
Der erfolgreichste Export der letzen vier Jahre ist die 33-jährige Isabelle Geffroy alias Zaz. Ihre Karriere beginnt 2009 dort, wo Edith Piafs sängerisches Zuhause war: im Zentrum des französischen Chansons, im Pariser Olympia. Dort gewann Zaz einen Wettbewerb. Seither tourt die Chansonnière durch die ganze Welt und begeistert mit ihrer Mischung aus Zigeuner-Swing und Chanson-Jazz.
Was aber bringt Zaz den Ruf der Piaf des 20. Jahrhunderts ein? Intensität! Edith Piaf lebte intensiv – sie reiste um die ganze Welt, trank und nahm starke Medikamente gegen ihre Schmerzen. Sie liebte intensiv – vor allem Sportler oder Chansonniers wie George Moustaki, der den Text zu einem ihrer grössten Hits schrieb.
Und sie hatte diese intensive Stimme, die alle begeisterte. Eine Stimme, die man heraushört: dieser Druck auf den Stimmbändern, das rrrrrrollende «R», das schnell flatternde Vibrato. Eine Stimme, die es, hätte es die Piaf nie gegeben, heute im Musikbusiness wohl nie an die Spitze der Charts geschafft hätte.
Und jetzt ist da Zaz, die dieser Intensität ganz schön nahe kommt. Diese Stimme, anders als viele andere. Rauchig ist sie, manchmal klingt sie so schön kaputt, laut kann sie sein, aber anders als Piaf hat sie auch diese Ruhe und Milde, die einlullt.
Der neue Brel
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Die junge Chanson-Szene in Frankreich ist geprägt durch Stil-Pluralismus, der schon die 60er, 70er und 80-Jahre beherrscht hat; Rock, Pop, Disco und Musik aus anderen Kulturen drangen damals in die Chansons ein – eine Zeiterscheinung.
Heute ist es Elektro und Hip-Hop. Zu letzterem zählt der Belgier Stromae, der momentan die ersten zwei Plätze der französischen Charts besetzt. Auf dem zweiten Platz liegt «Papaoutai», ein tiefsinniger Text über den fehlenden Vater. Und diese Texte bringen ihm die Bezeichnung «Neuer Jacques Brel». Stromae selbst bezeichnet den Vergleich mit Brel als «fainéantise», als Faulheit. Natürlich, wenn man es allein auf die gemeinsame Heimat Belgien bezieht. Da ist aber noch mehr, allem voran: Beide leben die Lieder, die sie singen mit Haut und Haar.
Der neue Gainsbourg
Als Wunderkind des Nouvelle Chanson gilt Benjamin Biolay. Komponist, Produzent und Interpret zugleich. Mit allen Grossen der Szene hat er schon zusammengearbeitet. Und der Vergleich mit dem Skandalsänger Serge Gainsbourg ist gar nicht so abwegig. Er hatte Affären mit den schönsten und bekanntesten Frauen, es heisst, mit der ehemaligen französischen First Lady Carla Bruni und Johnny Depps Vanessa Paradis – jedenfalls beherrscht er gerne die Boulevard-Blätter, wie es auch schon Gainsbourg getan hat: mit seinem Stöhn-Duett «Je t’aime … moi non plus» mit Jane Birkin, den Inzest-Andeutungen mit seiner Tochter Charlotte, den Alkoholeskapaden.
Und das ist es, was das französische Chanson auch immer wieder populär macht – die Skandale neben der Bühne. So war das schon bei Edith Piaf.
Benjamin Biolay jedenfalls spielt mit diesem aufgepfropften Image als neuer Gainsbourg nicht ungern. Aber dann kommt immer wieder der Punkt, an dem er sagt, Gainsbourg sei passé: «Hört uns zu!» Und das lohnt sich. Die Nouvelle scène française schafft es, der Übertradition gerecht zu werden, sie weiterzuführen in ganz vielfältigem und eigenem Stil.