«Lateinamerika ist eigentlich barock im Geiste», sagt Leonardo García Alarcón, der im argentinischen La Plata aufgewachsene Cembalist und Dirigent. Damit meint der Musiker, dass ein barocker Esprit in seiner Heimat noch heute lebendig ist. Weniger in der Musik, die er in Buenos Aires kennengelernt hat und die eher romantisch geprägt ist. Sondern in der argentinischen Volksmusik, wo die Harmonien, die Instrumente, die Art der Poesie oft barock daherkommt. Noch immer sagen die Argentinier «Madrigal», und meinen damit einfach ein argentinisches Lied.
Barock mit argentinischer Prägung
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Wenn der 38-Jährige sich heute also mit seinem Ensemble Cappella Mediterranea der europäischen Barockmusik widmet, schöpft er aus einer Quelle, die er seit seiner Kindheit mit sich trägt. Und das ist durchaus hörbar.
Es ist ein Zugang, der sich vielleicht als «argentinisch» charakterisieren lässt: Es klingt sinnenfreudiger, lebendiger, ja auch «fleischlicher» als bei anderen Barockmusikern. Vielleicht auch einfach eine Spur freier, weil für García Alarcón eine Musik, die ein paar 100 Jahre auf dem Buckel hat, einfach natürlich präsent ist.
Bach löste eine grosse Leidenschaft aus
Trotzdem ist dem Musiker die Alte Musik nicht von alleine zugefallen. Denn in Buenos Aires waren alte Musikinstrumente in den 1980er-Jahren nicht einfach so zu haben. García Alarcóns prägendes Musikerlebnis war eine Schallplatte mit Bachs Matthäus-Passion, die er von seiner Grossmutter zum achten Geburtstag geschenkt bekam. Er hörte diese und beschloss, Musiker zu werden.
Damals spielte er schon etwas Klavier. Und es blieb ihm nichts anderes übrig, als Bach auf eben diesem Instrument zu spielen – obschon er eigentlich ein Cembalo dafür wollte. Also ein Instrument, wie es Bach auch hatte. Doch der Junge war kreativ: Er stimmte sein Klavier auf eine historische Bach-Stimmung von 415 Hertz herunter und klimperte frisch drauflos. Zusammen mit seinen Bach-Platten, die im Hintergrund mitliefen.
Er küsst die Barockmusik aus Südeuropa wach
So richtig ernsthaft mit der Alten Musik angefangen hat Leonardo García Alarcón aber erst mit 18 Jahren. Alt genug, um Argentinien zu verlassen und in Europa zu studieren. Er ging nach Genf zur Cembalistin Christiane Jacottet und gründete sein eigenes Ensemble: Die Cappella Mediterranea. Wie der Name sagt, ein Ensemble, das sich vor allem der Barockmusik Südeuropas widmet und am liebsten Musik wiederentdeckt. Solche, die vergessen in den Archiven schlummert, aber mit einem theatralischen Potenzial aufwartet, das García Alarcón dann wachküsst.
Musik, die letztmals vor 331 Jahren aufgeführt wurde
Wie zum Beispiel die Werke des Sizilianers Michelangelo Falvetti. Dramatisch sind die Stoffe, die Falvetti in seinen Oratorien vertont hat: Etwa der Auftritt von Regen, Sturm und Hagel in seinem «Diluvio universale», der Geschichte der alttestamentarischen Sintflut. Die Musik wurde letztmals vor 331 Jahren in Messina aufgeführt, bevor García Alarcón kam und die wilden Wassermassen und verzweifelten Menschen wieder zum Leben erweckte. Angestaubt klingt das keine Sekunde lang.