Leidenschaft, Ausdauer und Grenzenlosigkeit sind Schlüsselwörter für Bernstein, den alle zeitlebens einfach «Lenny» nannten: Nah bei den Leuten und kommunikativ war er als Dirigent wie als Komponist, als politisch Engagierter wie als Musikvermittler. Im US-Fernsehen hatte er jahrzehntelang Kinder und Erwachsene mit klassischer Musik infiziert, indem er sie ernst nahm und ihnen das Lernen mit klug inszenierten Filmen und Moderationen versüsste.
Auch Jonathan Cott wurde so ein Bernstein-Fan, jetzt sitzt er ihm gegenüber in seinem Haus das vollgestopft ist mit Künstlerfotos, Büchern und Partituren, die alle von einem überreichen Leben erzählen.
700seitige FBI-Akte Bernstein
Am Anfang des Gesprächs zieht Lenny eine Show ab, springt von Thema zu Thema, singt vor, gestikuliert und macht Namedropping von befreundeten Prominenten. Aber im Lauf des Abends fängt auch er an zuzuhören und es entwickelt sich unmerklich ein Gespräch über Musik, Gott und die Welt.
So erfährt man zum Beispiel, wie der Jude Bernstein nach dem 2. Weltkrieg mit den Wiener Philharmonikern über Antisemitismus diskutierte. Oder staunt, dass das FBI eine 700seitige Akte über ihn besass und ihn US-Präsident Richard Nixon während des Watergateskandals einen Dreckskerl nannte. Auch kann man lesen, warum Bernstein bei Kindern so gut ankam – weil er fest daran glaubte, dass jedes Kind in seinem Innersten lernbegierig ist und diese Überzeugung mit der jüdischen Tradition verbindet.
Ein halbes Jahrhundert Musikgeschichte
Auch Klatsch und Tratsch gehören dazu, etwa wie Bernstein seinen Fan Michael Jackson in einer Konzertpause auf den Mund küsste oder die Anekdote von Gustav Mahlers Exfrau Alma, die ihn mit allen Mitteln der Kunst verführen wollte.
Der Morgen dämmert schon, als Lenny für seinen Gast Beethoven auf den Plattenteller legt. Es wird der musikalische Schlusspunkt unter ein aussergewöhnliches Gespräch, das nicht nur tiefgründig und unterhaltend zugleich ist, sondern ein halbes Jahrhundert lebendige Musikgeschichte vorüberziehen lässt.