Es war ein heisser Sommer. Die Luft war so heiss, dass sie vor den Augen flirrte. In dieser Hitze versuchte Leonard Cohen zu schreiben. Es war 1965, und wie so oft verbrachte er seine Zeit auf der griechischen Insel Hydra, wo er ein Haus gekauft hatte. Es sollte sein zweiter Roman werden. Titel: «Beautiful Losers».
Von der Extase in die Erschöpfung
Das Schreiben war Cohen nie leicht gefallen. Er quälte sich. Er rang sich die Sätze ab. Eigentlich war er nie zufrieden mit dem, was er zu Papier brachte. Hilfsmittel waren willkommen: Drogen, Alkohol - in rauen Mengen.
Das Buch wurde tatsächlich fertig. Aber der Autor musste ins Spital eingeliefert werden. Er hatte sich in die totale Erschöpfung geschrieben.
Diese Geschichte erfährt man in der neuen, lesenswerten Biografie der Musikjournalistin Sylvie Simmons. Auf über 700 Seiten breitet sie das Leben von Leonard Cohen aus. Sie geht chronologisch vor, kümmert sich um die Details, wertet nicht. Immer wieder sind Interviewausschnitte mit Cohen eingestreut.
Berufswunsch: Schriftsteller
Leonard Cohen wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. Sein Vater besass ein Textilunternehmen. Die Cohens sind eine jüdische Familie mit einer sehr alten Tradition in Kanada. Urgossvater Lazarus wanderte in den 1860er Jahren aus Litauen ein und gründete eine Synagoge.
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Dass die Religion in Cohens Leben eine sehr wichtige Rolle spielt, spürt man auch in seinen Texten. Etwa in seinem berühmten Song «Hallelujah».
Schon als Schüler fiel Leonard Cohens Leidenschaft für die Sprache auf. Er war Mitglied in einem Debattierclub und trug stets ein Notizheft bei sich, um alles festzuhalten, was ihm in den Sinn kam.
Dass er später auf die Musik umsattelte, hatte mit wirtschaftlichen Überlegungen zu tun. Er konnte vom Schreiben nicht leben. Und so fing Cohen an, für andere Musiker Songs zu schreiben. Erst später präsentierte er sie auch selber auf der Bühne.
Selbstdisziplin statt Psychopharmaka
Leonard Cohen ist ein schüchterner Mensch. Sylvie Simmons beschreibt in ihrer Biografie eindrücklich, wie schwer es ihm am Anfang fiel, vor Publikum Gitarre zu spielen und zu singen. Erst als er mit über 70 wieder auf Tournee ging, bekam er Spass an seinen Auftritten, fand Simmons in Gesprächen mit Cohen heraus.
Im Leben von Leonard Cohen gab es immer wieder schwere Zeiten. Jahrelang litt er an Depressionen. Er probierte alle Psychopharmaka aus, fühlte sich damit aber noch schlechter. Amphetamine halfen, doch mit zunehmendem Alter fiel es ihm schwer, sie zu nehmen.
Am besten funktionierte straffe Selbstdisziplin. Weil Cohen merkte, dass er mit einem rigiden Tagesablauf seine Depressionen irgendwie überstehen konnte, zog er sich immer wieder in ein buddhistisches Kloster zurück.
Musik mit Sogwirkung
Heute ist Leonard Cohen 78 Jahre alt. Das Alter, sagt er, bringe eine wunderbare Ruhe mit sich. Was ihn keineswegs von der Arbeit abhält. Unermüdlich schreibt er an seinen Songs. Seine Stimme wird mit jedem Jahr tiefer. Sie hat etwas Biblisches, schreibt Sylvie Simmons. Auch wenn Leonard Cohens Musik traurig klingt, es gibt immer Grund zur Hoffnung. Wie es im Song «Anthem» heisst: «There is a crack in everything, that's how the light gets in.»
Biografie mit neuen Erkenntnissen
Sylvie Simmons hat mit «I'm Your Man: Das Leben des Leonard Cohen» ein sorgfältig recherchiertes Buch geschrieben. Auch Cohen-Kenner entdecken darin Dinge, die sie so nicht gewusst haben.
Zum Beispiel erfährt der Leser, wie stark das religiöse jüdische Milieu den Songwriter geprägt hat. Oder wie sehr Cohen in seinen Beziehungen zu Frauen zerrissen war zwischen dem Wunsch nach Intimität und Entfernung. Kompromisse einzugehen, fiel ihm schwer.
Man spürt, dass die Biografin Sylvie Simmons viel Zeit mit Leonard Cohen verbracht hat. Trotzdem gelingt es ihr, immer eine gewisse Distanz zu wahren.