«Ich könnte sehr viel erfolgreicher sein als ich bin», sagt Dirigent Teodor Currentzis in seiner ein wenig provozierenden Art. «Ich müsste es nur machen, wie viele andere.» Mit seinen Ritualen und Zwängen ist der Grieche dem weltweiten Klassikbetrieb erfolgreich aus dem Weg gegangen. Die Art, wie er es ganz anders macht, klingt aber so mitreissend, dass aus dem radikalen Visionär im Moment gerade ein Weltstar wird.
Qualvolle Musikproben
Ich erlebte Currentzis Ende 2014 bei den Aufnahmen zu Mozarts «Don Giovanni». Damals war er bereits drei Jahre Chef des Opernhauses in der russischen Stadt Perm, am Fusse des Ural. Bewusst entschied er sich nach seinem Studium in St. Petersburg für Nowosibirsk, um dort mit MusicAeterna sieben Jahre lang ein junges Orchester aufzubauen – statt durch die weit offenen Türen des Westens zu gehen und dort zu arbeiten.
Bei meinem Besuch war ich nicht nur elektrisiert von seiner extremen Art, Musik zu machen – seine Visionen ohne Abstriche zu verwirklichen. Es faszinierte mich auch, wie der junge Grieche mit den Problemen umgeht, die sich aus seinem Perfektionismus ergeben.
Von mittags bis um eins in die Nacht zogen sich die Aufnahmen hin. Quälend lang erschien – sicher nicht nur vom Parkett aus – die Zeit, bis Currentzis endlich mit einer bestimmten Phrase, einer Koloratur, einem dynamischen Akzent zufrieden war und sich dem nächsten Abschnitt zuwandte. Die Folge: Die aus West- und Mitteleuropa stammenden Barockbläser (in Russland sind erst die Streicher so weit) reisen in Perm an und fliegen entweder nach zwei Tagen entsetzt wieder ab oder sie reihen sich begeistert ein, erzählte mir einer der beiden deutschen Klarinettisten.
Guru und Nachteule
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Wenn Currentzis, umgeben von seiner Entourage, mittags im Saal erscheint, wirkt der Maestro auf den ersten Blick wie ein extravaganter Guru. Wenn er dann aber auf der Bühne die Musiker begrüsst, sich augenblicklich mit Max, seinem Assistenten, am Hammerflügel neue Continuo-Pointen ausdenkt, wenn er mit seinen Leuten lacht und redet und in dem Gewirr von Kabeln, Mikrofonen, Notenpulten auf der zum Studio mutierten Bühne versinkt – dann wird einer sichtbar, der zwar die Ideen vorgibt, die Ideale und Freuden aber teilt mit denen, die für ihn brennen.
Wer mit ihm redet, merkt schnell, Currentzis kann Menschen begeistern. Wer ihn zum ersten Mal begrüsst, kann beobachten: Er nimmt auch Zeitgenossen wahr und ernst, die nicht so berühmt sind wie er. Mein Interview mit ihm war sehr kurz. «Fortsetzung folgt», versprach er. Jedoch hatte er keine Zeit und lief – Folge seines Perfektionismus – dem Aufnahmeplan rettungslos hinterher.
Nach einem endlosen Tag mit Mozarts «Don Giovanni», mit Sängern und MusicAeterna, drei Stunden vor meinem Abflug um zwei Uhr nachts, bekam ich mein Interview. Es ist nicht leicht mit Teodor Currentzis – aber es lohnt sich.