Man traut den Ohren kaum. Das einsaitige Holzinstrument aus Asien klingt wie eine menschliche Stimme. Aber da sind noch Anklänge an Hawaii-Slide-Soli. Und dann entlockt die Vietnamesin Nguyen Thi Hong Van diesem «Dan Bau» eine Naturtonreihe aus verzogenen, vibrierenden Flageolett-Klängen. Kein Zweifel: Das ist astreiner Obwaldner Juuz, pardon, Juiz, wie es hier heisst. Ruedi Rymanns «Hech obä» stimmt sie an, und die einheimische Tamara Riebli erhebt ihre helle Stimme darüber, als wäre es nie anders gedacht gewesen.
Vom Hard Rock zum Juuzen
So beginnt der Volkskulturabend der anderen Art, wie er seit 10 Jahren für Verblüffung sorgt. Zugegeben: Dass die urchigen Rufe von Zentralschweizer Sennen unweit der kehligen Tenorkunst der sardischen Hirtenkultur liegen, überrascht kaum. Doch wie verwandt die Juuze der Muotathaler Natur Pur und die markerschütternden Lieder der Tenores di Bitti aus Sardinien sind – hier auf der Giswiler Lichtung nahe des Sarner Sees wird es erlebbar.
Das Muotathal: Sein Naturjuuz gehört nicht zum Weltkulturerbe wie die Gesänge der Tenores di Bitti. Noch nicht. Immerhin wurde Beny Betschart von der Gruppe schon als jodelnder Bub mit seiner Familie vom Ethno-Musikologen auf Film verewigt, als der die Muotathaler Vokaltradition minutiös dokumentierte. Die fünf heimatverbundenen Mannen von Natur Pur denken übrigens höchst modern. Wie sie über Umwege über Hard Rock zum Juuzen kamen – bei einem Besuch in ihrem Biotop haben sie es verraten.
Die Hühnerhaut rührt nicht vom Wetterumsturz
Das Stelldichein von Schweizer Urmusik und Weltmusik aus Spanien, Vietnam oder Bhutan ist als Konzept seit zehn Jahren bewährt und beliebt. Erfunden hat es der Einheimische Martin Hess.
An der Jubiläumsausgabe von Obwald präsentiert der Leiter des Events nun einen spektakulären Rückblick auf die musikalischen Begegnungen eines Jahrzehnts. Dabei durfte der Flamenco-Clan Bermudez y Pena aus Andalusien nicht fehlen. Hess liess es sich nicht nehmen, die Reise nach Jerez de la Frontera anzutreten, um die aktuelle Besetzung aus der weitverzweigten Sippe zu rekrutieren.
Für Höhepunkte sorgen die grossen Chorformationen aus Wattwil, Gruyère, aus Obwalden und Appenzell. Und für Aha-Effekte ein furioser Auftritt des Hon Viet Orchestra aus Vietnam. Nur schon das Vergnügen, diese warm klingenden, aber den meisten Leuten wohl völlig neuen Instrumente kennenzulernen, war die Reise an dieses Sommernachtsfest wert. Gleichzeitig mit dem Konzert vom Dienstag endet die sommerliche Hitzewelle im Alpenraum. Die Hühnerhaut beim Publikum ist kaum auf diesen Wetterumsturz zurückzuführen.