Als ich das Album «Brain Salad Surgery» zum ersten Mal hörte, war Progressive Rock komplett unangesagt. Man schrieb das Jahr 1984. Die Haare waren gefärbt oder dauergewellt, der Kalte Krieg prägte die Hitparade, man hörte Michael Jackson oder Prince, Italo-Disco, britischen oder deutschen New Wave. Die 70er schienen Lichtjahre entfernt.
Hochentwickelte Synthesizer
In einer Postergalerie sah ich ein Bild von HR Giger, das einen in eine Art Maschine eingespannten Frauenkopf zeigt, dessen oberer Teil aus einem Totenschädel besteht. Darunter die drei Buchstaben E, L und P. Beim Anhören der Platte war mir dann schnell klar, warum sich Emerson, Lake and Palmer von HR Giger ein Albumcover malen liessen: Es verkörpert visuell jene Verschmelzung von Mensch und Maschine, die die Band musikalisch anstrebte.
Mithilfe hochentwickelter Synthesizer kreierten die drei Briten ein Klanguniversum, das es zuvor nicht gab. Keith Emerson, Greg Lake und Carl Palmer verschmolzen Klassik mit Jazz – Texte aus dem 17. Jahrhundert mit Rock’n’Roll. Und sie waren live eine Wucht: Der legendäre Ahmet Ertegün, Gründer von Atlantic Records, holte sie nach einem Auftritt auf der Isle of Wight 1970 zu seinem Label.
Die Bandmitglieder
Als «Brain Salad Surgery» 1973 erschien, waren ELP bereits Stars beidseits des Atlantiks:
- Keith Emerson war klassisch ausgebildeter Pianist mit einem Faible für Oscar Peterson und Dave Brubeck.
- Gitarrist, Bassist und Sänger Greg Lake hatte früher mit Robert Fripp bei King Crimson gespielt.
- Der ambitionierte Schlagzeuger Carl Palmer war zarte 19, als ELP 1970 ihr erstes Album veröffentlichten.
Das erste E-Drum der Musikgeschichte
Obwohl sie nur zu dritt waren, setzten sich ELP in den Kopf, ihr Material immer auch live umsetzen zu können. Sounds und Effekte herzustellen, die heutzutage auf jedem Laptop vorinstalliert sind, bedingte in den 1970er-Jahren noch einen enormen technischen Aufwand. Und diesen Aufwand betrieben ELP. So ist auf «Brain Salad Surgery» unter anderem das erste elektronische Schlagzeug der Musikgeschichte zu hören. Dazu natürlich virtuoses Orgelspiel von Keith Emerson, Auszüge des Mephisto-Walzers von Franz Liszt, das Lied «Jerusalem», das auf einem Gedicht von William Blake basiert, und ein leichtfüssiges und mit reichlich Selbstironie vorgetragener Boogie Woogie.
Fusion verschiedener Musikgenres
Einflüsse von Jazz und Klassik in Rocksongs einzubauen, war Anfangs der 70er-Jahre en vogue. So wagten sich ELP beispielsweise auch an «Bilder einer Ausstellung» von Modest Mussorgsy. Anfang und Schluss wurden werkgetreu nachgespielt, doch dazwischen türmen sich Synthesizerwände, Schlagzeugsoli und Gesangseinlagen, die im Original nicht vorkommen. Auch Bands wie Yes, King Crimson oder Genesis kultivierten die Fusion verschiedener Musikgenres, verkauften Millionen Platten und schufen Werke, die bis heute Gegenstand musikwissenschaftlicher Arbeiten sind.
Doch nicht alle goutierten diese Musikrichtung. Der legendäre John Peel kritisierte ELP als eine Verschwendung von Talent und Strom. Und ein damals in Musikerkreisen herumgereichtes Bonmot lautet: Wie buchstabiert man Überheblichkeit? ELP.
Tatsächlich scheiterten ELP wohl vor allem an ihren eigenen Ansprüchen, immer gigantischere Shows spielen zu wollen. Ähnlich wie bei ihren Konkurrenten von Pink Floyd waren die Konzerte ein finanzielles Desaster. Die Band veröffentlichte 1978 noch «Love Beach», danach trennten sich die Wege der drei Herren ein erstes Mal. Seither ist Rockmusik etwas langweiliger geworden.