Seit Edward Rushton vor vielen Jahren den Ärmelkanal überquerte und just in der Schweiz landete, schätzt ihn das Publikum hier sehr: als Pianist, als Komponist, als Liedbegleiter.
Edward Rushton, 1972 im englischen Norwich geboren, studierte Musikwissenschaften in Cambridge. Danach zog es ihn nach Glasgow, wo er Komposition studierte und sich intensiv mit der Liedbegleitung beschäftigte. Letztere führte ihn zu Irwin Gage an die Zürcher Hochschule der Künste. Rasch machte sich Edward Rushton als Liedbegleiter in seiner neuen Wahlheimat Zürich einen Namen. Daneben feierte er auch als Komponist grosse Erfolge: mit seinen Liedern, seiner Kammermusik, aber auch mit seinen Opern und Orchesterwerken.
Rauschgefühl bei Mahlers Musik
Das Klavier ist sein Instrument, und auf Kammermusik mit befreundeten Musikern möchte er nie verzichten. Trotzdem ist Edward Rushton seit jeher auch fasziniert von grossen Orchestern: «Die Musik, die ich schon als Kind am liebsten gehört habe, war Orchestermusik. Weil sie die Kraft hatte, mich emotional zu packen. Der grosse Klang und dieses Gefühl von Rausch, das ich bei der Musik von Mahler oder Strauss bekommen habe. Und natürlich komponiere ich auch selbst extrem gerne für Orchester. Da hat man eine schön breite Palette an Farben, mit denen man malen kann.»
Diesen Farbenreichtum nutzt Edward Rushton auch in seinem neuen Orchesterwerk «I nearly went, there», das vom London Symphony Orchestra und dem Dirigenten Daniel Harding im KKL Luzern uraufgeführt wird. Das Auftragswerk durfte nicht länger als zehn Minuten sein, so die Vorgabe.
Rettung vor dem Abgrund
In dieser kurzen Zeit wollte sich Edward Rushton musikalisch auf ein Werk Gustav Mahlers beziehen: «Die Idee war, auf irgendeine Art und Weise auf Mahlers fünfte Sinfonie zu reagieren. Es ist eigentlich ein bisschen wie die Sinfonie von Mahler – um einiges gekürzt und rückwärts abgespielt und noch gefiltert durch meinen Blick darauf, oder durch den Blick eines Menschen, der nah am Abgrund steht. Deswegen auch der Titel ‹I nearly went, there›, also ‹Ich bin da fast umgefallen›.»
Rushton greift für sein Werk den ersten und den letzten Ton der fünften Sinfonie Mahlers heraus: Das «cis» der Trauermarsch-Fanfare und das «d» vom Schluss. Dazwischen geht er in nur einem Halbtonschritt einen ganz anderen Weg als Gustav Mahler. Die Idee von der Rettung vor dem Abgrund und aus dem Chaos bleibt aber die gleiche und verbindet Mahlers und Rusthons Stücke miteinander.
Die Musik als Obsession
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Dass sich grosse Orchester wie das London Symphony Orchestra immer wieder für seine Musik interessieren, überrasche ihn, sagt der bescheidene Engländer. Und auch dass er ein begnadeter Pianist ist, spielt Rushton gerne herunter: «Am liebsten mache ich Musik mit Freunden. Es war nie mein Ziel, alleine als Virtuose im Rampenlicht zu stehen», sagt er. Mit seinen Freunden kann er dann auch mal beim Cricket oder Pingpong-Spielen abschalten – vor allem die Musik in seinem Kopf, die ständig laufe.
Für das Komponieren sei das häufig ein Segen, für den Alltag aber manchmal auch ein Fluch: «Das ist wirklich wie eine Migräne – also wirklich grauenvoll. Ich hab die ganze Zeit Musik im Kopf und ich krieg sie nicht weg. Das hat etwas Obsessives, auch das Notieren der Musik, das Aufschreiben im Kopf. Es läuft und ich sehe die Noten vor mir und schreibe sie auf, schon immer! Es ist, glaube ich, nicht so gesund.»