Posaunenpionier Christian Lindberg bangt um den Nachwuchs. Dabei hat der schwedische Dreifach-Musiker (Posaunist, Komponist, Dirigent) für das unwahrscheinlichste aller Soloinstrumente den Boden bestens bereitet: in den vergangenen 30 Jahren sind annähernd 300 Werke für ihn und von ihm komponiert worden, hat Lindberg der Posaune so hartnäckig wie spektakulär den Weg von den hinteren Orchesterreihen ins Rampenlicht gebahnt. Hat der sympathische Posaunenkönig seinen Job zu gut gemacht?
«Es ist ein langer, schmerzvoller Weg zur Posaune», sagt der 58-Jährige in einer Probenpause, «wie bei Trompete oder Horn muss ausgerechnet der Teil der Gesichtsmuskulatur trainiert werden, der fürs Sprechen und die Mimik eigentlich am lockersten sitzt». Bis zu acht Stunden täglich hing Lindberg früher am Mundstück und übte, um den Ansatz zu optimieren. Das sei, als würde man seine Tage im Fitnesscenter verbringen, nur eben allein und ohne Muskelpumpen drumherum. Würde diese Übungsroutine nur einen Tag unterbrochen, könne man wieder von vorne anfangen.
Kindheitstraum: wie Ringo Starr werden
Zeitsprung ins Schweden der Sechzigerjahre: Ein Musikfilm der Beatles elektrisiert den ohnehin schwer zu bändigenden Blondschopf Lindberg derart, dass er, noch keine zehn Jahre alt, verkündet: «Ich will der zweite Ringo Starr werden!». Der Knirps spart sogar sein Taschengeld, um seinem Idol ein Geburtstagsgeschenk nach Liverpool schicken zu können: einen Ring. Ob der jemals ankam? Eine Antwort jedenfalls flattert nie in die gartenumgebene Holzhaus-Idylle in Danderyd. Aber die Musik als Lebensziel bleibt.
Eine goldrichtige Entscheidung
Dass es nicht das Schlagzeug, sondern die Posaune wird – purer Zufall. Eine Schülerjazzband sucht einen Posaunisten. Lindberg hat schon die eine oder andere Trompete gespielt und denkt, das kann nicht so schwer sein, das auch noch zu lernen. Nur zwei Jahre später, mit 19, ergattert er eine Posaunistenstelle im Königlichen Opernhausorchester in Stockholm. Jetzt könnte er eigentlich bis zur Rente eine halbwegs ruhige Kugel schieben.
Doch der Altersdurchschnitt im Orchester ist so hoch und die Einstellung gegenüber neuer Musik so lustlos und negativ, dass Lindberg nach nur einem Jahr wieder hinschmeisst. Es die verrückteste, die goldrichtigste aller Entscheidungen: Christian Lindberg geht zurück ans Konservatorium, geht zur Horizonterweiterung nach London und in die USA, vernetzt sich dank seines herzlich-aufgeschlossenen Naturells hier wie dort bestens in Musikkreisen. So verbreitet sich langsam die Kunde von diesem irrwitzig virtuosen «Paganini der Posaune».
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Doch noch Abstriche machen
Das klingt nach einer reibungslosen Karriere. Aber ein paar Bananenschalen lagen schon noch auf dem Weg: aalglatte, geldgierige Konzertagenten, Selbstzweifel und vier kleine Kinder, die es grosszuziehen galt. «Ich kann jeden verstehen, der einer Solistenkarriere eine Orchesterstelle vorzieht», sagt Christian Lindberg. Aber dies sei wahnsinnig schade.
In seinen Meisterkursen treffe er regelmässig auf grosse Begabungen. Auch das Argument, dass es für die Posaune kein Repertoire gäbe, ziehe nicht. Christian Lindberg wird nächstes Jahr sein 100. Solokonzert uraufführen. Was also tun, um den Nachwuchs zu fördern?
Christian Lindberg zuckt mit den Achseln: «Weitermachen und die Hoffnung nicht aufgeben. Und wenn ein echtes Talent meinen Weg kreuzt und diesen wirklich weitergehen will – er oder sie bekäme meine volle Unterstützung, Kontakte, Repertoire, alles.» Sagt's und greift zur Posaune. Einer muss den Job ja machen.