SRF: Sie sind als Comic-Zeichner berühmt, aber auch als Musiker aktiv. Ist Musik Ihre geheime Leidenschaft?
Robert Crumb: Meine Leidenschaft schon – aber nicht meine geheime. Ich trete seit mehr als 40 Jahren mit Bands auf. Man kann die traditionelle amerikanische Musik auch spielen, ohne ein grosser Virtuose zu sein.
Das ist das Schöne an der alten Folkmusik. Hört sich solche Musik dann nicht dilletantisch an?
Kann schon vorkommen, aber das ist nicht der Punkt. Man spielt ja für seine Familie, für Leute aus der Nachbarschaft, nicht für Kenner. Es kommt auf die Freude am Musikmachen an, nicht so sehr auf ein grandioses Konzertergebnis. Leute spielen die «Old Time Music» zu ihrem eigenen Vergnügen.
Wie wurde Ihr Interesse an der traditionellen Musik geweckt?
Ich weiss nicht, warum auf mich alte Musik so eine Faszination ausübt. Schon als Kind war ich davon begeistert. Ich hörte diese Musik zuerst in Fernsehfilmen aus den 1930er–Jahren und fing sofort Feuer. Als ich dann 12 Jahre alt war, suchte ich nach dieser Musik, die ich in den alten Filmen gehört hatte. Aber es gab sie nicht auf den Schallplatten, die damals in Umlauf waren. In Trödelläden stiess ich dann auf alte Schellackplatten, was eine Erleuchtung war.
Sie waren schon als Teenager in Trödelläden unterwegs?
Ich hatte schon immer eine Leidenschaft fürs Sammeln. Mit 10 durchkämmte ich Junk-Shops und Second-Hand-Läden nach alten Comic-Heften. Als ich 15 war, stolperte ich in so einem Laden über einen Stapel von Schellackplatten, die sehr billig waren. Sie waren nicht alle toll. Aber eine war von einer Tanzkapelle aus den 1920er–Jahren. Der Namen der Gruppe sagte mir nichts, aber die Musik haute mich um. Ich dachte: «Das ist es! Das ist diese alte Musik aus den Filmen.» Damit war klar, dass ich von nun an nach solchen Schellackplatten fahnden würde. Ich kaufte mehr und mehr Scheiben und entdeckte dabei all diese unterschiedlichen traditionellen Stile: Old Time Jazz, Blues, Gospel, Hillbilly, Cajun. Das waren die Einstiegsdrogen.
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Wie ging es weiter?
Ich entdeckte all die Musikstile der verschiedenen Einwanderergruppen Amerikas: irische Jigs, griechischen Rembetiko, polnische und ukrainische Musik, böhmische Klänge – einfach alles, was es auf Schellacks gab. Es wurde mir klar, dass jedes Volk irgendwann einmal eine eigene, starke Volksmusiktradition besessen hatte. Nach solchen Scheiben hielt ich Ausschau. Ich sammle diese Musik bis heute.
Sie scheinen ein fanatischer Sammler zu sein. Woher kommt die Sammelwut?
Es ist eine Obsession. Ich glaube, es hat mit der Macht der Serie zu tun. Man hat ein Exemplar und will auch die anderen Exemplare der Serie haben – ein Drang nach Vollständigkeit. Es ist wie eine Krankheit, die von einem Besitz ergreift. Man könnte es auch als eine moderne Ausformung des Jagdinstinkts beschreiben, ein archaisches Relikt, vielleicht eine Art Perversion. Die Erregung, die einen erfasst, wenn man sich einem Flohmarkt nähert. Die Vorfreude, vielleicht etwas zu finden, nach dem man seit langem sucht, ist ein Symptom dieses Gebrechens. Man weiss nie, welche Schätze einen erwarten.
Den Schellackplatten sieht man nicht an, um welche Musik es sich handelt?
Das ist ja gerade das Wunderbare. Platten sind voller Überraschungen. Ich stiess vor einiger Zeit auf einem Flohmarkt in Paris auf einen Stapel Schellacks. Darunter war eine Scheibe, die die wundersamsten Klänge enthielt. Pure Ekstase! So ein Glücksfall entschädigt für die viele Schallplatten, die man kauft, weil sie billig sind und die sich als Flops erweisen. Aber man nimmt das Risiko gerne in Kauf. Man muss viele schlechte Platten kaufen, um ein paar Perlen zu finden.