Doch, es gab in den 1970er-Jahren eine Zeit, da war es anders. Da bekam man im Nebel von Filterlosen und anderen Petarden zugeraunt, hipper als Genesis gehe nicht, jedenfalls nicht auf diesem Planeten. Das hatte mit ambitionierten – und teils wirklich bewegenden – 20-Minuten-Werken wie «Supper’s ready» zu tun. Das war tiefes Sinnieren um menschliche Abgründe.
Eigentlich enorm uncool
Nur schon der Versuch zu kapieren, was Peter Gabriel da mit dieser markerschütternden Stimme erzählte, gab für ein paar Wochen zu tun. Mir jedenfalls. Und da war die Frechheit, mit der dieser Gabriel sich ein Dreieck in den Scheitel rasierte. Womit er plötzlich irritierend dämonisch wirkte; nicht mehr engelhaft, wie so viele in diesen Tagen des kategorischen Imperativs wallender Mähnen.
Aber eigentlich waren Genesis enorm uncool: beflissen, langfädig, versponnen, handgestrickt. Wofür man sie so gut lieben wie hassen konnte. Als es dann losging mit Sicherheitsnadeln, Hochwasser-Röhrenjeans, zerrissenen Netz-Shirts und die Punks sich auf Requisitenschieber wie Genesis einschossen, war einer schon weiter. Besagter Gabriel. Nicht ohne Vorwarnung: Auf dem Genesis-Konzeptalbum «The Lamb Lies Down On Broadway» hatte er einen punkigen Charakter als Hauptfigur gewählt. Dann verliess er schnöde seine Bandkollegen, um allein den Weg zu suchen.
Mit Schmonzetten den Ruf versaut
Ich sah ihn Ende der Siebziger in Genf zum ersten Mal auf der Bühne, begleitet von einer Truppe von messerscharfen Minimalisten in signalroten Westen – schlicht und umwerfend. Gabriel sang von Psychostress und überwundenen Ängsten, spottete über Materialismus und Grössenwahn und wirkte dabei wie die Antithese zu Genesis.
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Seine alte Band hatte da bereits die Pop-Hitformel gefunden und das erste Rendezvous mit den Spitzen der Charts, geführt vom alten Schlagzeuger Phil Collins am Gesangsmik – «Follow you, follow me». Für mich war klar, wem ich folgen wollte. Und da hatte Gabriel sein Monsteralbum «So» noch gar nicht gemacht.
Und Phil Collins war noch nicht zum Prügelknaben der coolen Verfechter guten Pops geworden. Das kam erst in den 1980er-Jahren, als er seine gescheiterten Ehen in Top 50-Radio-Schmonzetten ausbreitete. Was ihm etwa zu gleichen Teilen Hits und Spott bescherte.
Wie sehr er sich dieses Dilemmas bewusst war, zeigte sich in einem unvergesslichen «Kulturplatz»-Interview. Da versuchte ihm Thorsten Stecher wellnessmässig einzumassieren, wie legendär Collins als Schlagzeuger sei. Schliesslich hätte auch das schwarze Amerika seine Grooves gesampelt, seinen Stil bewundert. Worauf Collins sich über seinen versauten Ruf lustig machte: «Sie wollen mir ständig sagen, wie cool ich bin, und ich spiele hier den grossen Versager.»
Selbstironie mitten im Triumph
Nein, ein Versager ist Collins wirklich nicht. Seine «Reduced to the max»-Drums seines ersten Soloalbums haben Schule gemacht. Und während sein Vorgänger Gabriel die World Music-Ära mit einläutete, zeigten Genesis – ebenfalls in den 1980ern – immerhin mit «Land Of Confusion», wie gut ihnen Selbstironie mitten im Triumph stand. Als Pop-Giganten einer Szene, die sie ursprünglich sehr kunstbeflissen ins Bessere drehen wollten. Wirklich enorm nachhaltig, das Erbe dieser stets uncoolen Briten. Eigentlich schon fast cool.