Wenn eine Band einen Song produziert, kann sie ihn über eine spezielle Musiksoftware mit Echos, Delays oder auch dem Hall einer Kirche belegen. Bald können die Musikerinnen und Musiker einen neuen Effekt wählen: per Mausklick beamen sie ihr Lied in die Akustik des Steinkreises von Stonehenge. Diese Spielerei ist das Ergebnis einer Computersimulation von Dr. Rupert Till von der University of Huddersfield.
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Um die Stonehenge-Akustik einzufangen, musste der britische Musikarchäologe und Soundkünstler Messungen am Steinkreis durchführen. Morgens um halb sechs fuhr er dafür hinaus zum Steinkreis, denn nur um diese Zeit ist es dort ruhig. Die Schnellstrasse, die an Stonehenge vorbeiführt, ist noch autofrei und die Scharen von Touristinnen und Touristen liegen noch in ihren Betten.
Wissenschaft mit einem Luftballon
Normalerweise karrt Rupert Till für seine akustischen Messungen ein riesiges Equipment mit elektrischen Geräten und grossen Boxen zur Beschallung der Bauwerke an. In der Weltkulturerbe-Stätte Stonehenge war das aber verboten. Improvisation war gefragt: «Ich platzierte kleine Aufnahmegeräte rund um die Steine und nahm auf, wie im Innersten des Steinkreises ein Luftballon platzt», erklärt er.
Auf den Platz-Impuls antworteten die Steine in Form komplexer Echos und anderen akustischen Reflexionen. Auf der Grundlage dieser Millisekunden von Klängen und einer Computersimulation konnte Rupert Till anschliessend die Akustik des ursprünglichen Stonehenge rekonstruieren: Aufzeigen, wie es klang, als auch die andere Hälfte der Steine noch an ihrem Platz stand.
Eine Konzerthalle für Trommelklänge
Am Computer reiste Till in die ferne Steinzeit und stellte fest, dass der Steinkreis akustisch in sich geschlossen ist: «Wenn man in den Steinkreis hinein läuft und trommelt, verändert sich die Akustik deutlich. Innen sind die Klänge verstärkt und glasklar, fast wie in einer Konzerthalle.»
Die Simulation der Stonehenge-Akustik aus der Zeit 2600 vor Christus ergab auch, dass kurze Trommelklänge wie gemacht sind für die prähistorische Kultstätte: «Die Aufstellung der Steine und ihre glatte Oberfläche reflektieren vor allem die tiefen Frequenzen der Perkussion und kreieren sehr effektvolle Echos.»
Echos der Urahnen?
Wissenschaftlich kann Rupert Till von dieser Beobachtung weder darauf schliessen, dass die Urmenschen in Stonehenge getrommelt haben, geschweige denn wie. Auch hat er keine Hinweise, inwiefern Stonehenge wirklich als akustische Kultstätte angelegt war. So wie andere Stonehenge-Forscher kann auch er hier nur spekulieren.
Er geht davon aus, dass auch Trommeln Teil der Ahnenverehrungen und Totenrituale waren, die möglicherweise in Stonehenge abgehalten wurden. «Das von den Steinen zurückprallende Echo hat dabei vielleicht die Stimme der toten Urahnen verkörpert.»
Stonehenge als Klangskulptur
Die Londoner Klangexperten vom Royal College of Art haben eine ganz andere Theorie zur akustischen Dimension von Stonehenge. Sie sehen Spuren an den Steinen als Zeugnisse dafür, dass die Urmenschen direkt auf den Steinen herumgetrommelt haben. In einem Experiment stellten sie fest, dass die Felsblöcke je nach Gesteinsart, Grösse und Bearbeitungsgrad unterschiedliche Klänge haben, fast wie die Tonhöhen verschiedener Gongs. Gerade die Blausteine, die aus dem fernen Nordwales stammen und besonders fein bearbeitet sind, haben wegen ihres hohen Quartzanteils einen ausserordentlich schönen Klang. Alles nur Zufall?
Stonehenge als ein riesiges Musikinstrument – so weit will Rupert Till nicht gehen. Er freut sich aber, dass sich immer mehr Forscher mit der akustischen Dimension der Vorzeit beschäftigen. «Wenn wir an Ausgrabungsstätten gehen, sind das oft sehr stille Orte. Wir sollten mitdenken, dass dies alles einmal Orte voller Klang waren. Erst dann können wir die Vergangenheit wirklich verstehen.»