Die Rinksvey Strasse in Nuuk, der Hauptstadt Grönlands: Hier residiert zwischen 16'000 anderen Einwohnern in einem blauem Holzhaus Ejvind Elsner. Der 52-jährige joviale Impresario ist Chef von Atlantic Music, dem einzigen Plattenlabel der Insel. «Ich hatte den Traum, eine eigene Plattenfirma auf die Beine zu stellen. Ich bin ja selbst Musiker.»
Links zum Thema
- Nanook: «Ingerlaliinnaleqaagut» (You Tube)
- Sume: «Inuit Nunaat» (You Tube)
- Rasmus Lyberth Band (You Tube)
- Chilly Friday: «Iggo» (You Tube)
- Arctic Spirits: «Assiliarsuaq» (You Tube)
- Peand-eL: «Sinnattut» (You Tube)
- Julie Berthelsen: «Lige Nu» (You Tube)
- The Aasui-Aa Project feat. Kuupik & Karina: «Seqineq» (You Tube)
- Atlantic Music, Grönland
Elsner produziert 500 Bands und Einzelkünstler – egal, ob Rock, Rap, Hip-Hop oder Folklore. Fast alle Musiker Grönlands waren schon einmal in seinem Aufnahmestudio im Keller. Das Haus an der belebten Durchgangsstrasse dient als Platten- und Instrumentenladen, Lager und Büro in einem. Seit 1990 gibt es das Label. «Ich veranstalte Festivals, das grösste im September. Ausserdem organisiere ich immer Ende Juli im Tivoli in Kopenhagen einen Tag mit Live-Gigs grönländischer Bands.»
Der Eisbär heizt ein
Grönlands Topband Nanook gehört zu den jungen neuen Rock-Pop-Bands. Nanook bedeutet Eisbär in der Sprache der Inuit. Die Songtexte verstehen vermutlich die wenigsten, die fünf Mitglieder singen ausschliesslich in der Landessprache.
Die aktuelle CD von Nanook trägt den für uns fast unaussprechlichen Namen «Seqinitta Qinngorpaatit», was soviel bedeutet wie: «Unsere Sonne scheint auf Euch herab». Der Sound erinnert an die Britpopper von Coldplay. Das Album erzielte Gold im Verkauf: Über 5000 CDs gingen über den Ladentisch – nicht schlecht für ein Land mit gerade einmal 56'000 Einwohnern. Auf die Schweiz übertragen entspräche das einem Absatz von über 700'000 Tonträgern.
Von Folk bis Rap
Wer lediglich Garagensound aus Grönland erwartet, wird überrascht sein. Technisch können Elsners Produktionen international spielend mithalten. Die ersten Tonaufnahmen grönländischer Gesänge stammen von 1906. 60 Jahre später hielt mit der inzwischen legendären Gruppe Sume das Rock-Zeitalter Einzug auf der bis dahin äusserst traditionell-folkloristischen Insel. Mit langen E-Gitarren-Soli und klassischen Folktiteln bestimmte die Band lange die Musikszene am Polarkreis. Noch heute geniessen die Musiker Kultstatus.
Das Debütalbum mit dem Titel «Inuit Nunaat» kam 1974 heraus und war ein riesiger Erfolg. Die Platte wurde damals von den Radiosendern in ganz Skandinavien rauf und runter gespielt. Die Liedtexte drehen sich um grönländische Geschichte, die Kultur und vor allem um das Leben der Inuit.
Heute sind auch Gruppen wie die Rasmus Lyberth Band populär, die sich dem Folk verschrieben hat, die Indie-Hardrocker von Chilly Friday und Arctic Spirits oder der Rapper Peand-eL. Die Texte, egal in welchem Genre, kommen gerne wolkig daher mit einer Mischung aus Mystizismus und Heimatverbundenheit.
Geisterglaube und die Liebe zur Natur
Auch heute noch spielen auf Grönland Geisterglaube und die Liebe zur Natur eine grosse Rolle. «Wir glauben, das Wichtigste unserer Kultur ist unsere Sprache», sagt Ejvind Elsner. «Wenn sie verloren geht, dann geht auch der Geist Grönlands verloren. Es ist wie mit dem Eisbär: Er ist ein Symbol für unsere Zukunft: Stirbt er aus, werden auch wir verschwinden!»
Nur eine Sängerin hat es bis heute geschafft, über Grönlands Grenzen hinaus erfolgreich zu sein. 2002 wurde die damals 23-jährige Julie Berthelsen Zweite bei «Dänemark sucht den Super-Popstar». Danach hat sie alle wichtigen Grammys gewonnen und ist seitdem auch auf dem Festland populär.
2009 erschien ihre erste CD mit dem Hit «Lige Nu», den sie als einzigen Song auch auf Grönländisch einspielte. Massentauglicher Pop, der ein wenig wie Björk und Abba klingt. Ihre Texte handeln von Liebesschmerz und Liebesglück.
Musik spielt bis heute eine entscheidende Rolle für Grönlands Identität. Selbst der kürzlich abgewählte Ministerpräsident Kuupik Kleist tritt regelmässig als Sänger auf. Am Polarkreis gilt er als Leonard Cohen Grönlands. «Alle Leute hören Musik. Durch sie können wir über alles reden, zum Beispiel über die vielen Selbstmorde, die es in unserer Gesellschaft gibt», erklärt Elsner. «Die Grönländer sind sehr verschlossen. Popmusik kann Tabus kommunizieren und dabei gleichzeitig populär sein.»