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Virtuelles Mädchen mit grossen Augen.
Legende: Hatsune Miku ist nicht echt, als virtuelle Sängerin hat sie ein enormes Repertoire: über 100'000 Songs. Hatsune Miku/Kampnagel

Musik Hatsune Miku, ein virtueller Popstar mit Todessehnsucht

Sie ist ein Popstar – und ein Computerprogramm: Hatsune Miku. Die japanische Software hat Hunderttausende von Fans. Nun feierte ihre Pop-Oper «The End» in Hamburg Premiere. Darin denkt sie über den Tod nach. Ausgerechnet!

  • Das Computerprogamm Hatsune Miku ist ein japanischer Popstar – sie singt Lieder, die ihre Fans komponiert haben.
  • Als Sängerin in der Pop-Oper «The End» des japanischen Komponisten Keiichiro Shibuya trat sie nun in Hamburg auf.
  • Die Show ist eindrücklich und opulent, aber auch eine Überforderung für Auge und Ohr.

Enthusiastische Anhänger, weltweit

«Die spinnen, die Japaner!» Das ist die Reaktion vieler, die zum ersten Mal ein Video von Hatsune Miku sehen: Ein Manga-Mädchen mit türkisfarbenem, beinlangem Haar steht in Schuluniform auf der Bühne. Mit piepsiger Computerstimme singt sie schnell getaktete Popsongs.

Beziehungsweise: Ihr Hologramm wird auf die Bühne projiziert. Dahinter machen echte Musiker mit echten Instrumenten echte Musik. Das wirklich Schräge ist aber das Publikum: Tausende aufgekratzte Fans, die der Computerfigur zujubeln, dass Justin Bieber vor Neid erblassen müsste.

Verrückte Japaner? Sicher, aber nicht nur. Erstens hat das Projekt nicht nur im technik- und mangaverrückten Japan enthusiastische Anhänger, sondern weltweit. Zweitens ist Hatsune Miku auch aus künstlerischer Perspektive interessant.

Kostümiertes Mädchen mit Perücke.
Legende: Hatsune Miku ist ein virtueller Super-Star. Die Fans eifern ihr real nach. SRF/Thomas Kobel

Die Fans komponieren

Der Clou bei Hatsune Miku ist nämlich: Jeder kann gleichzeitig Konsument und Produzent sein. Es gibt keine zentrale Instanz, die Hatsune Miku die Lieder auf den virtuellen Leib schreibt. Sie ist die Summe der Kompositionen ihrer Fans.

Über 100’000 Lieder hat sie schon im Repertoire. Die beliebtesten schaffen es auf die grossen Konzertbühnen – Fan-Träume im digitalen Zeitalter.

Sängerin in einer Pop-Oper

Den «ersten demokratischen Weltstar, den es gibt», nennt sie András Siebold. Er hat Hatsune Miku für das Kampnagel-Sommerfestival nach Hamburg geholt. Als Sängerin für die Pop-Oper «The End» des japanischen Komponisten Keiichiro Shibuya. Der arrivierte Komponist füllt die Figur mit seinem ganz eigenen Inhalt.

In der Oper «The End» geht es um den Tod. Ironischerweise soll hier eine Software, die weder leben noch sterben kann, von ihrer Todessehnsucht singen. Dadurch eröffnet sich jedoch eine interessante Mehrschichtigkeit.

Sterben im digitalen Zeitalter

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«Indem das Internet-Phänomen Hatsune Miku über den Tod nachdenkt, stellt es auch die Frage: ‹Wie komme ich eigentlich aus dem Internet wieder raus?›», sagt András Siebold, der künstlerische Leiter des Festivals.

In einer Zeit, in der unsere digitalen Profile uns überleben, sehnt sich eine digitale Figur nach dem Tod. Konsequent, dass sich Hatsune Miku in einer Szene ein Inneres aus Därmen, Blutbahnen und einem Herz herbeifantasiert.

Mit doppelbödigem Text

Körperlichkeit als Voraussetzung für Sterblichkeit und damit für Lebendigkeit: Dieser elementare Zusammenhang wird der untoten Hatsune als schmerzlicher Mangel bewusst.

Zeichnung eines Mädchens mit türkisem Haar, dass den Kopf gesenkt hält.
Legende: In der Pop-Oper «The End» wird Hatsune sich ihrer fehlenden Körperlichkeit schmerzlich bewusst. Hatsune Miku/Kampnagel

«Bis zu diesem Tag wusste ich zwar, dass Menschen sterben können, aber … aber … es hatte nichts mit mir zu tun», singt Hatsune Miku über den Tag, als sie begann, über den Tod nachzudenken.

Der Text klingt umso doppelbödiger, wenn man weiss, dass Komponist Keiichiro Shibuya mit dem Stück den Tod seiner jung verstorbenen Frau verarbeitet. Plötzlich ist die eigene Endlichkeit präsent im Saal, auch wenn es eine Computerfigur ist, die sie thematisiert.

Reizüberflutende Oper

In «The End» steht Hatsune Miku nicht lebensgross auf der Bühne, sondern tritt auf mehreren Leinwänden auf. Mal überlebensgross, mal mehrfach, mal verwandelt sie sich in einen Drachen. Alles wird durch eine halbtransparente Leinwand vor der Bühne gedoppelt. «Eine visuelle Überforderung», so András Siebold.

Zusammen mit der lauten Musik und dem Stroboskoplicht ist «The End» für den Besucher eine anstrengende Angelegenheit. Einige Zuschauer verliessen deshalb den Saal. Auch wer mit einem Hologramm rechnet, wird enttäuscht: Die Projektionen bleiben zweidimensional, wie im 3D-Kino fühlt man sich nicht.

Eine quasi-realistische Darstellung ist aber nicht Ziel des Spektakels. Der Verfremdungseffekt ist gewollt: In «The End» steht Hatsune Miku zu ihrer Künstlichkeit und Gemachtheit – und hält damit uns Gewachsenen einen anregenden Zerrspiegel vor.

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